Rückblick und Ausblick: Zur Gründung unseres neuen Landesbezirkes am 17. März 2007

In wenigen Wochen werden sich die bisher eigenständigen Landesbezirke Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu einem gemeinsamen Landesbezirk zusammenschließen. Betroffen von dieser Veränderung ist in erster Linie die so genannte "mittlere Ebene". Aus den drei Landesbezirksverwaltungen in Magdeburg, Dresden und Erfurt wird eine mit Sitz in Leipzig gebildet. Da die Bezirke und Geschäftsstellen in Sachsen-Anhalt von Veränderungen unberührt bleiben, sind Erreichbarkeit, Beratung und Service auch für die Zukunft gewährleistet.

Der anstehende Zusammenschluss ist auch eine Gelegenheit für den Blick zurück und nach vorn. Wir haben darüber mit Uwe Dressel, Vorsitzender des Landesbezirksvorstandes, und Jürgen Schenk, Landesbezirksleiter, gesprochen.

Unsere Gesprächspartner Jürgen Schenk und Uwe Dressel

ver.di PUBLIK | Was sind Eure Erinnerungen, wenn Ihr an die Gründungskonferenz im Mai 2001 in Halle denkt?

UWE DRESSEL | ver.di war nicht von allen gleich gewollt, auch von meiner Gründungsgewerkschaft nicht. Bei der Gründungskonferenz von ver.di Sachsen-Anhalt im Mai 2001 gab es noch jede Menge Skepsis, man konnte genau sehen, wie sich die Blöcke der Kolleginnen und Kollegen aus den fünf Gründungsgewerkschaftern nicht nur räumlich abgrenzten. Wir hatten ja immerhin eine Fusion von fünf Organisationen zu meistern.

Und wir hatten auch Hoffnung. All die Kolleginnen und Kollegen, welche bei ver.di-Gründung mit in Berlin waren und unseren Vorsitzenden Frank Bsirske erleben durften, verbreiteten bei den Delegierten im Mai 2001 eine Aufbruchstimmung.

JÜRGEN SCHENK | Wir haben damals formuliert, dass ver.di Sachsen-Anhalt das Stärkste sein soll, worauf sich die Schwächsten in unserer Gesellschaft verlassen können sollen. Auch ich erinnere mich an Aufbruchstimmung, an eine gemeinsam verfasste Hallenser Erklärung mit Forderungen an Politik und Wirtschaft, und ich erinnere mich an viele gute Diskussionen, was wir gemeinsam besser machen können als es uns als fünf Einzelgewerkschaften möglich gewesen wäre.

ver.di PUBLIK | Wie waren dabei Eure Erwartungen und welche Erfahrungen habt Ihr in der Organisation gesammelt?

UWE DRESSEL | ver.di war bei Gründung die größte Einzelgewerkschaft der Welt. Da kann man schon denken, dass nun vieles zum Selbstläufer wird. Bei damals fast drei Millionen Mitgliedern bundesweit und über 90000 in Sachsen-Anhalt müsste jede Tarifverhandlung spätestens beim Arbeitskampf mit Leichtigkeit zu Gunsten der Arbeitnehmer zu entscheiden sein. Aber diese Selbstläufer hat es so nicht gegeben. Nichts geht nach einem Schema F, viele Eigeninitiativen waren und sind gefragt.

ver.di hat große Erfolge zu verbuchen - in allen Bereichen - und nicht nur im Tarifgeschäft, aber es gibt auch große Probleme, die sich auch an den in den letzten Jahren veränderten politischen Rahmenbedingungen festmachen lassen.

JÜRGEN SCHENK | ver.di ist eine große gesellschaftliche Kraft. In Sachsen-Anhalt haben wir mehr als dreimal so viele Mitglieder wie alle im Landtag vertretenen Parteien gemeinsam. Darauf darf man auch stolz sein! In allen Fachbereichen, den Bezirken, den Personengruppen und bei den Frauen wird von ehrenamtlich Aktiven und hauptamtlich Beschäftigten gute Arbeit geleistet. Und dennoch - angesichts rückläufiger Mitgliederzahlen müssen wir unsere Arbeit regelmäßig auf den Prüfstand stellen und entscheiden, was daran gut ist und was wir besser machen können.

ver.di PUBLIK | Nun steht erneut eine Fusion an. Warum wird ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss von drei Bundesländern angestrebt und was ändert sich für die Mitglieder?

UWE DRESSEL | Bereits bei Gründung von ver.di wurde von den Satzungsgebern festgeschrieben, dass bis 2007 die ver.di-Landesbezirke Sachsen, Sachsen/Anhalt und Thüringen zu einem gemeinsamen Landesbezirk zusammenzuschließen sind. Waren wir anfänglich noch alle der Meinung, gut eigenständig bleiben zu können, haben uns sinkende Mitgliederzahlen und, daraus folgend, fehlendes Budget schnell eines Besseren belehrt.

Mit den verändernden Strukturen haben wir die Chance, den politischen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Für unsere Mitglieder gilt genau wie in 2001 bei ver.di-Gründung, wo es ziemlich egal war, von welcher Gründungsgewerkschaft jemand kam, auch jetzt, dass ver.di vor Ort stattfinden muss. ver.di muss da sein, wo unsere Mitglieder sind oder sein könnten. Und jedes Mitglied muss bei Bedarf jederzeit einen kompetenten Ansprechpartner bei ver.di haben.

JÜRGEN SCHENK | Mit unserer Einschätzung befinden wir uns in guter Gesellschaft. In allen politischen Parteien wird offen oder hinter verschlossenen Türen darüber diskutiert, dass eigentlich eine Verringerung der Anzahl der Bundesländer notwendig ist. Die SPD in Sachsen-Anhalt etwa fordert mittelfristig die Zusammenlegung der drei Bundesländer Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen zu einem gemeinsamen Bundesland Mitteldeutschland.

Da von der Zusammenlegung die Bezirke und Geschäftsstellen in Sachsen-Anhalt nicht betroffen sind, ändert sich für die Mitglieder zunächst einmal überhaupt nichts. Es darf keinen Rückzug aus der Fläche geben. ver.di muss vor Ort erlebbar sein. Der Sitz der mittleren Führungsebene, das heißt der Landesbezirksverwaltung, ist für die ehrenamtlich aktiven Funktionäre von Bedeutung, nicht aber für das normale Gewerkschaftsmitglied.

ver.di PUBLIK | Wie habt Ihr Euch auf diesen Zusammenschluss vorbereitet ?

UWE DRESSEL | Bereits frühzeitig im Jahr 2003 haben wir eine Organisationsreformkommission unter ehrenamtlicher Leitung eingesetzt, die für uns, unter Einbindung aller Strukturen von ver.di, das "Für und Wider" und das "Ob und Wie" des geplanten Zusammenschlusses beleuchten sollte.

Mitte 2004 konnte dann die Organisationsreformkommission dem Landesbezirksvorstand von ver.di Sachsen-Anhalt die Empfehlung zur aktiven Gestaltung des Zusammenschlusses der drei ver.di-Landesbezirke gemäß der Satzung geben. Nach Beschlussfassung des Landesbezirksvorstandes im September 2004 wurden dann im April 2005 auf der außerordentlichen Landesbezirkskonferenz von den Delegierten aus Sachsen-Anhalt die Ampel auf Grün für den Zusammenschluss gestellt.

In Sachsen und Thüringen wurde ebenso entschieden, und so kam es zu einem ersten Treffen der Präsidien der Landesbezirksvorstände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in Bad Frankenhausen. Hier war die Wiege einer länderübergrei-fenden Arbeitsgruppe, welche jeweils fünf ehrenamtliche und zwei hauptamtliche Kolleginnen und Kollegen bis heute angehören. Ziel dieser Arbeitsgruppe war und ist es, den Prozess der Zusammenführung als einen Prozess gleichberechtigter Partner zu organisieren und zu entwickeln.

Geregelt ist bereits, dass der neue Landesbezirk seinen Sitz in Leipzig haben wird und dass es in den jeweiligen Landeshauptstädten Koordinierungsstellen, insbesondere auch für die politische Arbeit mit den jeweiligen Landesregierungen geben wird. Klar ist auch, dass unsere zukünftige Landesleitung aus zwei Kolleginnen und einem Kollegen jeweils aus den beteiligten Bundesländern, besteht.

JÜRGEN SCHENK | Weit mehr als 100 Stunden haben ehrenamtliche und hauptamtliche Kolleginnen und Kollegen darüber diskutiert, ob es angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Lage unseres Bundeslandes für ver.di eine Chance geben kann, die Organisation so zu entwickeln, dass wir mit den Beitragszahlungen unserer Mitglieder auskommen können, ohne in das Vermögen eingreifen zu müssen. Nachdem klar war, dass dies nicht möglich sein würde, haben wir uns aktiv für die Bildung des neuen Landesbezirkes eingesetzt. Solche Prozesse sind nicht einfach - weder für die ehrenamtlich Aktiven noch für die hauptamtlich beschäftigten Kolleginnen und Kollegen. In mehr als zehn Arbeitsgruppen wurde an unterschiedlichen Fragestellungen gearbeitet. Immer ging es um die Frage, was an unserer Arbeit können wir besser machen, damit die Zufriedenheit unserer Mitglieder gestärkt wird und bisher abseits Stehende mit Erfolg auf eine Mitgliedschaft angesprochen werden können. Was können wir tun, um die Zahl der aktiven Gewerkschaftsmitglieder zu erhöhen?

ver.di PUBLIK | Abschließend, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Gibt es bei Euch konkrete Erwartungshaltungen an den neuen ver.di- Landesbezirk und wenn ja welche?

UWE DRESSEL | Zuallererst hoffe ich, dass nicht noch mehr "weiße Flecken" im Zuge dieses Zusammenschlusses entstehen. Ich hoffe, dass es spürbar gelingen möge, freie Betreuungskapazitäten im Zuge dieser Fusion an die Basis - in die Betriebe und Dienstellen - zu den Mitgliedern zu leiten. Das Mitglied muss seine/n Gewerkschaftssekretär/in erreichen, wenn es Hilfe braucht - dafür zahlt es Beitrag, und das ist der Anspruch der gilt.

Aber auch wir die Betriebs- und Personalräte und ehrenamtlichen Funktionäre in ver.di müssen unsere Gewerkschaft fordern und fördern. Flächendeckende Ortsvorstände und natürlich ehrenamtliche Basisarbeit in den Betrieben und Dienststellen sind auszubauen. Wir sind es, die in aller Regel unsere Kolleginnen und Kollegen an ver.di binden können oder eben auch nicht. Da gibt es noch viel Potenzial glaube ich.

JÜRGEN SCHENK | Ich bin der Überzeugung, dass wir in den zurückliegenden Jahren unter den gegebenen Umständen gut gearbeitet haben. Insoweit glaube ich nicht, dass der neue Landesbezirk alles anders machen muss, sondern dass vieles von dem, was gut war und sich bewährt hat, übernommen werden kann. Ich wünschen mir, dass der gewerkschaftspolitischen Bildungsarbeit ein höherer Stellenwert eingeräumt wird. Bildung ist die Voraussetzung für Bewusstsein und nur darüber lässt sich auch Engagement entwickeln und die unbedingte Bereitschaft, unsere Gesellschaft durch aktives Handeln positiv verändern zu wollen.

Der neu gegründete Landesbezirk wird mehr als 200000 Mitglieder und mehr als 300 Beschäftigte haben. Damit gehört er zu den großen ver.di-Landesbezirken und ich bin ganz sicher, dass er die Voraussetzungen für eine bestmögliche Interessenvertretung unserer Mitglieder erfüllen wird.

In diesem Sinne bleibt uns noch allen Kolleginnen und Kollegen für den Rest des Jahres persönliches Wohlergehen und viel Erfolg zu wünschen.interview: Heye de Buhr