Sie sind bei ver.di: Berliner Erwerbslose auf einer Demo zu Hartz IV

Endlich konnte Claudia Spreen wieder einen Arbeitsvertrag unterschreiben, unbefristet, ab 1. Januar 2011. Zu früh gefreut: Schon am sechsten Arbeitstag in der kleinen Firma, die mit Spezialpapieren handelt, bekam die Fremdsprachenkorrespondentin die Kündigung. Vielleicht hatte sie zu viele kritische Fragen gestellt. Das vermutet sie jedenfalls; einen sachlichen Grund für die Entlassung im Eiltempo kann sie nicht erkennen. Oder wurde sie gar nicht gebraucht, ging es nur um einen Zuschuss vom Jobcenter? Spreen hat viel Erfahrung mit langer Arbeitslosigkeit, unterbrochen von mehr oder weniger kurzen Jobs. Jedenfalls steht sie nun wieder an einem Punkt, an dem ver.di-Mitglieder oft ihren Austritt aus der Gewerkschaft erklären - meist, um Geld zu sparen. "Das verstehe ich, aber es ist falsch", sagt Claudia Spreen. Man darf sich nicht fallenlassen, muss raus aus der Isolation und braucht Verbindung zu Leuten, denen es ähnlich geht wie einem selbst. Das zeigt ihre Erfahrung. "Denn vor Bekannten, die nie arbeitslos waren, muss man sich immer mal wieder rechtfertigen und erklären, dass man nicht selbst schuld ist an der Lage, in der man steckt. Es gibt Arbeitslose, die so den Kontakt zu ihrer Umwelt verlieren." Schon wegen der Begegnung mit anderen Betroffenen - neben der Beratung und Information - brauchen Erwerbslose die Gewerkschaft. Und die Gewerkschaft braucht sie, auch wenn sich immer noch Menschen wundern, dass bei ver.di auch Erwerbslose organisiert und aktiv sind. "Ich bin eigentlich Arbeitnehmerin wie andere auch", sagt Claudia Spreen, "nur zurzeit mal wieder arbeitsuchend." Sie fügt hinzu: "Unsere Situation als Erwerbslose wirkt sich auf die Lage derer aus, die Arbeit haben. Mit uns können die Unternehmen Druck machen, damit immer schlechtere Arbeitsbedingungen akzeptiert werden. Was mit uns geschieht, schwächt auch die Gewerkschaften, deshalb ist es so wichtig, dass wir zusammenarbeiten."

Rund 120.000 erwerbslose Mitglieder

Bei der ver.di-Gründung "sind wir nach dem Prinzip ‚Best of‘ verfahren", sagt Bernhard Jirku, in der Bundesverwaltung zuständig für die Erwerbslosen. "Die ÖTV machte die beste Erwerbslosenarbeit der Altorganisationen und die IG Medien hatte eine eigene Personengruppe Erwerbslose - da haben wir für die neue große Organisation angeknüpft." Heute hat ver.di rund 120.000 erwerbslose Mitglieder, die meisten davon aus den Fachbereichen Handel, Gesundheit und Besondere Dienstleistungen, zu dem auch die Leiharbeitsfirmen gehören. "Es sind oft Menschen, die aus Minijobs, Leiharbeit oder prekärer Arbeit im Wohlfahrtsbereich kommen", sagt Jirku. "Auch Frauen und Männer aus Postunternehmen sind immer mehr dabei." Claudia Spreen ist Vorsitzende des ver.di-Erwerbslosenausschusses im Bezirk Berlin. Gerade plant sie mit den elf anderen Aktiven eine neue Ausgabe der Berliner Erwerbslosenzeitung. Alle zwei Wochen lädt der Ausschuss Interessierte zu einem Treffen mit aktuellen Themen ein. So sprechen ver.di-Fachleute über die Sozialwahlen und die aktuelle Entwicklung dessen, was bürokratisch "arbeitsmarktpolitische Instrumente" heißt und das Leben der Erwerbslosen oft bestimmt. Da kommen immer viele. Neue Leute erreichen die Aktiven am ehesten über die individuelle Beratung, mehrmals die Woche, an vier verschiedenen Orten in der Stadt. Es geht um Hartz IV und Sanktionen, prekäre Arbeit und Eingliederungsvereinbarungen, Rechte und Pflichten. Letzten Endes geht es um Arbeit, um Würde - und um Geld. Informationen und Diskussionen bieten die Erwerbslosenausschüsse bei ver.di an. Und die Möglichkeit, selbst mitzumachen.

Claudia von Zglinicki

http://www.erwerblose.verdi.de