Die Kapitalseite versucht, die politische Debatte zu beeinflussen. Aktivisten fordern strengere Regeln, die solch ein Vorgehen öffentlich machen. Doch konkret passiert ist in den vergangenen Jahren wenig

Frauke Ritter von Sporschill, 43, Ticket-Sales-Managerin der Lufthansa am Flughafen Hamburg

von Harald Neuber

Der Bundestagswahlkampf 2013 wurde dieses Jahr nicht mit den üblichen Parteiplakaten eingeleitet, sondern mit Horrormotiven. Ein satanischer Dämon warnte die Bürger/innen schon ein Jahr vor der Abstimmung auf großflächigen Plakaten vor "Strompreis-Horror", ein Gespenst frei nach Edvard Munch rief zur "Hilfe" vor Preissteigerungen infolge der Energiewende. Mit den Anzeigen griff die unternehmerfinanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in die politischen Debatten des Vorwahlkampfs ein. Energiewende, Sozialpolitik, Europapolitik - bei fast jedem der großen Themen versuchte die INSM, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen.

Für Lobbyisten wie die INSM ist der Eingriff in den Wahlkampf eine Gratwanderung. Zum einen wollen sie einen größtmöglichen Einfluss ausüben, auf der anderen Seite im Hintergrund bleiben. Die im Jahr 2000 gegründete und vor allem vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierte Organisation bedient sich dabei verschiedener Mittel. Neben den Anzeigen engagiert sie sogenannte Botschafter: bekannte Per- sonen, die neoliberale Nachrichten verbreiten. Der plumpe Einkauf von Dialogen in sieben Folgen der ARD-Vorabendserie Marienhof im Jahr 2002 war da schon eher eine Ausnahme.

Angesichts des aggressiven Vorgehens von Lobbyisten in der Öffentlichkeit und - mehr noch - hinter den Kulissen des Bundestags fordern Beobachter striktere Regeln. "Viele Menschen stören die zahlreichen personellen und finanziellen Verflechtungen und der große Einfluss finanzstarker Lobbygruppen", bestätigt Christina Deckwirth von der Organisation Lobby Control. Vor allem die Oppositions- parteien SPD, Grüne und Linke könnten hier punkten, weil ihre Wahlprogramme Forderungen nach mehr Transparenz und Regeln für Lobbyisten enthalten, so Deckwirth weiter.

Gerade der verdeckte Lobbyismus stößt in Deutschland auf wachsenden Widerstand. Zumal die schwarz-gelbe Bundesregierung in den vergangenen vier Jahren kaum etwas dagegen unternommen hat. Mehr Transparenz bei der Beeinflussung durch Interessengruppen? Fehlanzeige. Klarere Regeln für den Wechsel zwischen Ämtern in Politik und Wirtschaft? Fehlanzeige. Demokratische Standards für Parteienfinanzierung? Ebenso Fehlanzeige. Für diese Blockadepolitik steht Schwarz-Gelb zunehmend auch international in der Kritik. Zuletzt hat die Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) die Bundes- regierung aufgefordert, für mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung im Wahlkampf zu sorgen. Geschehen ist auch hier nichts. Der Europarat hat in einem laufenden Mahnverfahren des-wegen den zweiten Schritt eingeleitet.

Neben Lobby Control fordert auch die deutsche Sektion von Transparency International (TI) seit Langem strengere Regeln zur Parteienfinanzierung und zum Parteiensponsoring. "Leider ist es in dieser Legislaturperiode zu keinen wesentlichen Fortschritten gekommen", urteilte der Geschäftsführer von TI-Deutschland, Christian Humborg.

Mitunter entlarven sich die Lobbyisten aber selbst. Einer der ersten Botschafter der INSM war im Jahr 2003 der Präsident des FC Bayern München, Ulrich Hoeneß. Der Sportfunktionär warb damals in Fußballstadien mit dem Slogan "Ohne Reformen steigt Deutschland ab" für die INSM und ihr Streben nach "weniger Staat" und "mehr Eigenverantwortung". Heute, zehn Jahre später, ist Hoeneß wegen Steuerhinterziehung ins Visier der Staatsanwaltschaft gerückt. Und das lag in der Tat in seiner Eigenverantwortung.