Die Weltwirtschaft neu ordnen

Der Internationale Gewerkschaftsbund, IGB, vertritt 170 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in 312 Mitgliedsorganisationen und 157 Ländern. In einer umfassenden Erklärung, die dem Londoner G20-Gipfel präsentiert wurde, hat der IGB seine Forderungen dargelegt. Eine Dokumentation in Auszügen*

Die Situation hat sich zu einem komplexen und gefährlichen Teufelskreis mit fallenden Immobilienpreisen und wachsender Arbeitslosigkeit entwickelt, die wechselseitig die Krise nähren. Diese Krise erstreckt sich mittlerweile auf Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer.

Der Internationale Währungsfonds hält 26 einkommensschwache Länder in Afrika, Asien, Nord- und Südamerika und Osteuropa für "sehr verwundbar" gegenüber den Beeinträchtigungen der weltweiten Rezession 2009. Die Errungenschaften der Millenium-Entwicklungsziele für eine globale Anstrengung zur Beseitigung der Grundursachen von Armut sind durch die Wirtschaftskrise gefährdet. Zehn Jahre Fortschritt in der Armutsbekämpfung sind in ein paar Monaten null und nichtig geworden.

Soziale und politische Krise droht

In den ersten Monaten des Jahres ist die Arbeitslosigkeit weiter angestiegen. Das "Worst-Case-Szenario" der Internationalen Arbeitsorganisation, wonach 2009 weltweit 50 Millionen Menschen keine Arbeit mehr haben werden, erscheint vor diesem Hintergrund als überaus optimistisch. Mehr als 20 Millionen Beschäftigte, zumeist in den Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen es keine sozialen Sicherungsnetze gibt, könnten in extreme Armut verfallen: Die Zahl der arbeitenden Armen - mit einem Einkommen von weniger als zwei US-Dollar pro Tag und Familienmitglied - könnte auf 1,4 Milliarden ansteigen.

Beschäftigte auf der ganzen Welt, die ihre Arbeitsplätze und ihr Zuhause verlieren, sind die unschuldigen Opfer dieser Krise - einer Krise, die von der Gier und Inkompetenz im Finanzsektor beschleunigt wurde, die aber gestützt wird von der Politik der Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung der Arbeitsmärkte. Die Auswirkungen dieser Politik - stagnierende Löhne und Gehälter, Einschnitte in der sozialen Sicherheit, Aufweichung der Arbeitnehmerrechte, Zunahme prekärer Arbeit und Finanzierung - tragen gemeinsam zu mehr Ungleichheit und Verwundbarkeit bei. Das Ausmaß der Krise ist ein Beweis für das Versagen dieser Politik. Ohne radikale Reaktionen der Regierungen wird sich dieser schwerste wirtschaftliche Einbruch seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre auch in eine soziale und letztlich politische Krise verwandeln.

Grundsätzlicher Paradigmenwechsel

Wenn der Aufschwung wieder einsetzt, dürfen wir nicht weitermachen wie bisher. Die Krise muss das Ende einer Ideologie uneingeschränkter Finanzmärkte markieren, in denen Selbstbeschränkung als Form des Betrugs dargestellt wurde und die Gier, zum Schaden der Realwirtschaft, das rationale Urteilsvermögen ersetzt hat. Es gilt, einen neuen nationalen und globalen Rechtsrahmen aufzubauen, der die primäre Funktion der Finanzmärkte wieder herstellt, die darin besteht, eine stabile und wirtschaftliche Finanzierung Gewinn bringender Investitionen sicherzustellen. Darüber hinaus ist ein neues Wirtschaftsentwicklungsmodell zu errichten, das wirtschaftlich effizient, sozial gerecht und nachhaltig gegenüber der Umwelt ist.

Dazu ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel erforderlich. Die Staats- und Regierungschefs der G20 müssen einen unilateralen Prozess in Gang bringen, um den Ordnungsrahmen der Weltwirtschaft in der Weise neu zu entwerfen, dass soziale und Umweltprobleme dieselbe Priorität erhalten wie Handel und Finanzen.

Die internationale Gewerkschaftsbewegung ruft die Regierungschefs auf, zusammen mit anderen Regierungen und internationalen Institutionen einen Fünf-Punkte-Plan zu entwickeln, um die Krise in den Griff zu bekommen und eine gerechtere und nachhaltigere Weltwirtschaft aufzubauen. Dieser Plan umfasst:

  1. Die Umsetzung eines abgestimmten, internationalen Sanierungsplans für nachhaltiges Wachstum mit dem vordinglichen Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen, insbesondere durch öffentliche Investitionen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, des Schutzes der am wenigsten Abgesicherten dieser Welt durch mehr soziale Sicherheit und die Tätigung von Investitionen in die "grüne Wirtschaft", damit die Weltwirtschaft auf klimaschonende Weise Wachstum erzielen kann. Den Entwicklungs- und Schwellenländern sind die Mittel und der politische Rahmen bereit zu stellen, um eine antizyklische Politik betreiben zu können.
  2. Die sofortige Verstaatlichung insolventer Banken, um das Vertrauen und die Kreditfähigkeit des Finanzsystems zurück zu gewinnen und darüber hinaus einen Ordnungsrahmen für die Regulierung des globalen Finanzsystems zu schaffen, der die volle Unterstützung aller Interessengruppen findet.
  3. Maßnahmen zur Bekämpfung der Gefahr einer Lohndeflation und zur Umkehrung der zunehmenden Einkommensungleichheit durch eine umfassendere Abdeckung mit Tarifverhandlungen sowie Stärkung der Institutionen, die die Löhne festlegen, um eine solide Grundlage auf den Arbeitsmärkten zu schaffen.
  4. Die Schaffung von Voraussetzungen für eine weit reichende und ehrgeizige internationale Klimaschutzvereinbarung auf der UN-Klimakonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen.
  5. Die Etablierung neuer rechtlicher Rahmenbedingungen zur Regulierung der internationalen Wirtschafts- und Sozialinstitutionen (Internationale Arbeitsorganisation, Internationaler Wirtschaftsfonds, Weltbank, Welthandelsorganisation und Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sowie die Reform dieser Institutionen und der Aufbau einer wirksamen und rechenschaftspflichtigen Weltwirtschaftsordnung.

*Das komplette 15-seitige Papier Londoner Erklärung, inklusive detaillierter Forderungen zur Regulierung der Finanzmärkte gibt es unter: www.ituc-csi.org


Reykjavik, Ende Januar: Island ist de facto bankrott. Energisch klopft die Bevölkerung beim Parlament an. Die Regierung konnte nur nochzurücktreten. Anfang Mai sind Neuwahlen

Die Menschen im Mittelpunkt

Es gibt Lösungen für die derzeitige Krise. Die Gewerkschaft ver.di legt das Konzept für ein soziales, solidarisches und ökologisches Konjunkturprogramm vor

ver.di fordert die Politik zur Umkehr auf: Weil die Wirtschaftskrise sich weltweit zuspitzt. Weil auch in Deutschland Massenentlassungen bevorstehen. Weil die Menschen vor Arbeitslosigkeit und dem sozialen Abstieg geschützt werden müssen. Deswegen hat die Gewerkschaft ein Konzept für einen sozialen und ökologischen Neubeginn erarbeitet. Ein Konzept, in dem die Menschen, ihre Zukunft und ihre Umwelt im Mittelpunkt stehen. Mit dem Arbeitsplätze dauerhaft gesichert und neue geschaffen werden können. Ein Konzept für die Umkehr zu einer gerechteren Lastenverteilung und solidarischen Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. "Sozialökologisch umsteuern - solidarisch finanzieren" - das ist die Leitlinie des Programms.

Athen, Anfang April: Protest gegen die Haushaltspolitik. Nahverkehr und öffentlicher Dienst streiken

Es soll einen Umfang von 100 Milliarden Euro jährlich in den Jahren 2009 bis 2011 haben, davon 75 Milliarden für öffentliche Investitionen und Auftragsvergabe und 25 Milliarden für ein arbeitsmarktpolitisches Sofortprogramm. Damit können zwei Millionen tarifgebundene Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden. Es sieht eine sofortige Verlängerung der Altersteilzeit vor, damit Auszubildende eingestellt werden können, sowie eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und des Arbeitslosengeldes I. Um die Kaufkraft zu stärken, aber auch aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit sollen die Regelsätze der Grundsicherung beim Arbeitslosengeld II auf 435 Euro erhöht und ein gesetzlicher Mindestlohn von zunächst 7,50 Euro eingeführt werden, der schnell auf 9 Euro steigt.

Montevideo, Anfang April: Arbeiter in Uruguay demonstrieren gegen die Folgen der Krise

Jährliche Investitionen von 75 Milliarden in den Jahren 2009 bis 2011 sollen vor allem in die Bildung, in Kindertagesstätten, Ganztagsschulen und Hochschulen, sowie in das Gesundheitswesen, in die Krankenhäuser und die Altenpflege fließen. Dabei soll nicht nur in Sachkosten investiert werden, sondern gerade in der Bildung und im Gesundheitswesen müssen Menschen eingestellt und angemessen bezahlt werden. Überdies sollen öffentliche Investitionen und Aufträge in den ökologischen Umbau gelenkt werden: in die ökologische Modernisierung und Sanierung der Ver- und Entsorgung und die Erweiterung der energetischen Gebäudesanierung, in die Modernisierung und Sanierung von Krankenhäusern und Schulen, von Straßen und Schienennetzen und den Ausbau des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs.

Kiew, Ende März: Ukrainische Oppositionelle erhoffen von Neuwahlen Schutz vor der Krise

Öffentliche Mittel sollen dort eingesetzt werden, wo mit den Geldern dauerhaft Werte geschaffen werden und öffentlicher Besitz erhalten wird und wo die eingesetzten Steuergelder nicht in kurzfristigen Notmaßnahmen versickern.

Und es kann finanziert werden - durch eine gerechtere Lastenverteilung. ver.di schlägt eine Reform der Einkommenssteuer vor, durch die untere und mittlere Einkommen entlastet und hohe Einkommen durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 50 Prozent wieder stärker belastet werden.

Insbesondere fordert ver.di

die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine gerechte Reform der Erbschaftssteuer und die Besteuerung von Finanztransaktionsgeschäften - so werden die Steuern wieder auf europäisches Niveau gebracht.

Das ganze Programm gibt es unter: konjunkturprogramm.verdi.de