Gastgeberin Angela Merkel will beim G8-Gipfel über Auslandsinvestitionen, Energiepolitik, Produktpiraterie und Afrika sprechen. Die Polizei erwartet 100000 Demonstranten

Von Annette Jensen

Die G8-Teilnehmer bleiben hinter dem Zaun FOTO: JUNGEBLODT

In Deutschlands ältestem Seebad Heiligendamm wirft ein Großereignis seine Schatten voraus: Anfang Juni empfängt Kanzlerin Angela Merkel hier die Staats- und Regierungschefs der reichen G8-Länder. Seit Wochen schon platzieren Bauarbeiter rund um den Ort 900 Kilo schwere Betonfundamente, aus denen riesige Stahlpfosten herausragen. Der elf Millionen Euro teure Zaun soll dafür sorgen, dass Angela Merkels Gäste nichts von den 100000 Demonstranten mitkriegen, die die Polizei während des Gipfels erwartet.

Wertegemeinschaft mit Wirtschaftskraft

Die G8 hieß früher G7 und existiert seit 1975. Mitglieder sind die zum damaligen Zeitpunkt wichtigsten Wirtschaftsnationen: USA, Kanada, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien. In den 90er Jahren stieß Russland dazu. Der elitäre Club trifft sich einmal im Jahr, um Weltwirtschaft und politische Lage zu erörtern. Zwar werden in Heiligendamm auch Regierungsvertreter aus China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika erwartet. Doch sie gehören nicht zur Gruppe - obwohl Chinas Wirtschaftkraft die von Italien und Kanada längst überflügelt hat. Die G8 sei eine "Wertegemeinschaft", begründet Angela Merkel die Zusammensetzung des Vereins. Seit Mitte der 80er Jahre werden die G8-Gipfel deshalb regelmäßig von Protesten begleitet.

Ob in Heiligendamm konkrete Beschlüsse gefasst werden oder man lediglich seine Ansichten austauscht, ist noch nicht absehbar. Auch das gehört zu den Spielregeln der G8: Beschlüsse brauchen Konsens. So haben die G8-Gipfelteilnehmer in den vergangen Jahren häufig folgenlos über Themen wie globale Sicherheit, den Nahostkonflikt oder die ungleiche Verteilung von Internetzugängen auf dem Globus geplaudert.

Welche Themen beim G8-Gipfel auf der Tagesordnung stehen, darf der jeweilige Gastgeber bestimmen. Angela Merkel will über bessere Bedingungen für Investoren außerhalb ihrer Heimatländer sprechen und auf mehr Transparenz bei den Finanzmärkten drängen. Auch über Energieeffizienz und Klimaschutz will sie reden. Doch schon heute ist absehbar, dass beim letztgenannten Thema allenfalls eine blumige Erklärung herauskommen wird: US-Präsident George W. Bush blockiert alles, was den Ölkonzernen nicht passt.

Sich für Afrika zu engagieren gilt für G8-Gastgeber seit ein paar Jahren als "Muss". Bereits 1999 verkündeten die Staats- und Regierungschefs der reichen Nationen einen Schuldenerlass. 2005 galt geradezu als Afrika-Jahr: Während Popstars auf einem weltweit übertragenen Konzert ihre Solidarität mit dem Kontinent demonstrierten, versprachen die G8-Teilnehmer im schottischen Gleneagles, die Entwicklungshilfe massiv aufzustocken. Auch ein "100-Prozent-Schuldenerlass" für einige Länder wurde verkündet.

Hilfe ohne Taschenspielertricks

Die Bilanz fällt zwei Jahre später ernüchternd aus. Zwar haben einige Länder vom Schuldenerlass profitiert und können mehr Geld für Armutsbekämpfung ausgeben. Doch von einer 100-Prozent-Entschuldung kann keine Rede sein. Was die Entwicklungshilfe angeht, so ist in Afrika nach dem Gipfel 2005 tatsächlich 1,2 Prozent weniger Geld angekommen als zuvor, so die Hilfsorganisation Oxfam. Nur weil der Schuldenerlass für Nigeria und Irak - entgegen den Absprachen - in die Entwicklungshilfeetats der G8-Länder einberechnet wurde, schnellte diese in die Höhe. Kritiker fordern, dass die G8 den Ländern Afrikas endlich ohne Taschenspielertricks hilft.

Ein besonderes Anliegen ist Angela Merkel der internationale Patentschutz. Vor allem gegenüber dem Vertreter aus China wird sie einfordern, dass das Land gegen Produkt- und Markenpiraten vorgeht. Umgekehrt sind die G8-Staaten aber sehr zurückhaltend, wenn Pharmafirmen aus ihren Ländern das traditionelle Wissen von Drittweltbewohnern nutzen, kritisieren Gewerkschaften, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen. Doch solche Formen von Biopiraterie werden in Heiligendamm wohl kaum ein Thema sein.

Der ver.di-Gewerkschaftsrat unterstützt einen Aufruf gegen den G8-Gipfel. Mehr zu der Aktion von Gewerkschafter/ innen steht im Netz:

www.g8-gewerkschafteraufruf.de