Der Staat will ab 2020 die öffentliche Neuverschuldung drastisch einschränken. Damit nimmt er sich ein wichtiges Instrument, um Konjunkturschwankungen auszusteuern

Professor Dr. Heinz-J. Bontrup lehrt Wirtschaftswissenschaften an der FH Gelsenkirchen

ver.di PUBLIK | Spätestens von 2020 an soll nur noch der Bund Schulden machen dürfen, allerdings begrenzt auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Was spricht gegen weniger öffentliche Schulden?

BONTRUP | So gefragt erst einmal gar nichts. Wir müssen die Staatsverschuldung aber anders sehen als die Schulden eines privaten Haushalts oder eines Unternehmens. Staatsschulden sind ein makroökonomisches Steuerungsin-strument. Mit der Schuldenbremse zerstört man dieses wichtige Instrument. Dagegen spricht jede ökonomische Vernunft, weil der Staat damit zukünftig nicht mehr in der Lage ist, eine seriöse Fiskalpolitik zu fahren. Wir haben schon durch die Einführung des Euros die Geldpolitik als eine wesentliche wirtschaftspolitische Säule auf die Europäische Zentralbank übertragen müssen. Damit ist die Fiskalpolitik als einzige Möglichkeit geblieben, Konjunkturschwankungen auszusteuern.

ver.di PUBLIK | Wäre es angesichts einer Staatsverschuldung von knapp 1,6 Billionen Euro nicht wünschenswert, die Neuverschuldung drastisch einzuschränken?

BONTRUP | Man muss die 1,6 Billionen Euro relativieren. Bezieht man die Summe auf die deutsche Wirtschaftsleistung, sind das rund 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Andere Länder liegen weit über 100 Prozent. Außerdem ist ein großer Teil der aufgelaufenen Staatsverschuldung dem Sonderfall der Wiedervereinigung und insbesondere einer neoliberalen Wirtschaftspolitik geschuldet.

ver.di PUBLIK | Warum tut sich Deutschland als einziges Land mit einer Schuldenbremse so hervor?

BONTRUP | Die Bundesregierung, die noch vor drei, vier Monaten einen neoliberalen Kurs gefahren hat, macht jetzt auf einmal eine keynesianische, eine antizyklische Fiskalpolitik. Mit der Einführung der Schuldenbremse will die Regierung dem Volk sagen: "Wir gehen ja eigentlich von unserer neoliberalen Politik nicht ab. Angesichts der Weltwirtschaftskrise müssen wir diese Konjunkturprogramme jetzt aber auflegen und noch einmal die zusätzlichen Schulden machen, danach aber wird es das nicht mehr geben."

ver.di PUBLIK | Gerade wurde das Konjunkturprogramm II verabschiedet, für das der Staat hohe neue Schulden aufnehmen wird. Ist das ein richtiger Weg?

BONTRUP | Das Konjunkturprogramm II ist völlig unterdimensioniert, wenn auch nicht ganz so extrem wie das Konjunkturprogramm I. Andere Länder machen da weitaus mehr. Etwa vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts müssten zumindest die großen Länder der Welt auflegen. Deutschland liegt mit gut 25 Milliarden Euro, jeweils für die Jahre 2009 und 2010, gerade mal bei einem Prozent. Außerdem stimmt die Struktur des Konjunkturprogramms nicht, da die Steuer- und Abgabensenkungen wesentlich weniger wachstumswirksam sind als staatliche Investitionen.

ver.di PUBLIK | Sehen Sie die Gefahr, dass sich Deutschland wieder zu früh der Haushaltskonsolidierung zuwendet?

BONTRUP | Mit der Schuldenbremse eindeutig ja.

ver.di PUBLIK | Es sind auch in Zukunft Ausnahmen von der strikten Schuldenregelung möglich, die allerdings recht vage formuliert sind. Reichen die aus?

BONTRUP | Naturkatastrophen und schwere Krisen als Ausnahmen reichen überhaupt nicht aus. Fakt ist, dass die Bundesländer ab 2020 überhaupt keine Schulden mehr machen dürfen und der Bund mit seinen maximal 0,35 Prozent Neuverschuldung bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt nach heutigem Stand nur noch einen Handlungsrahmen von 8,5 Milliarden Euro hat, um im Abschwung fiskalpolitisch reagieren zu können. Das reicht nicht einmal für die automatischen Konjunkturstabilisatoren. Schaut man sich die Zahlen seit der Wiedervereinigung an, so haben Bund, Länder, Kommunen und die Sozialversicherung im Durchschnitt pro Jahr 45 Milliarden Euro neue Schulden machen müssen. Vergleicht man diese Summe mit den 8,5 Milliarden Euro, die in Zukunft bleiben, so kann einem nur angst und bange werden.

ver.di PUBLIK | Politiker argumentieren gerne, dass wir die Staatsschulden an die nächsten Generationen vererben und deren Handlungsfähigkeit einschränken.

BONTRUP | In dieser primitiven, ich hätte fast gesagt volksverdummenden Art wird von den Politikern lediglich Angst im Volk geschürt. Man präsentiert bei der Staatsverschuldung nur die Verbindlichkeit. Aber wo eine Verbindlichkeit ist, da ist immer auch ein Vermögen. Da geht nichts verloren. Wir vererben somit nicht nur die Schulden, sondern auch das Vermögen inklusive der Zinsen. Trotz der Umverteilungswirkung von unten nach oben bei den Zinsen, ist es generationenübergreifend dennoch sinnvoll, die Schuldenaufnahme an das Ausmaß der öffentlichen Investitionen zu binden. So lange künftige Generationen Nutznießer der getätigten Investitionen sind, bietet nur die Staatsverschuldung die Möglichkeit, sie auch an der Finanzierung zu beteiligen.

ver.di PUBLIK | Ist die Staatsverschuldung der Grund für die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung in unserem Land?

BONTRUP | Nein, aber Staatsverschuldung ist mit das Ergebnis einer disproportionalen Verteilung. Wir haben unter dem neoliberalen Regime der vergangenen 30 Jahre gigantische Umverteilungen beim Einkommen und Vermögen von unten nach oben gehabt. Wenn man dies und gleichzeitig die Staatsverschuldung bekämpfen will, muss man unter anderem eine völlig andere Steuerpolitik fahren. Mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger würde ich sagen, wir brauchen deshalb anstatt einer "Schuldenbremse" eine "Steuersenkungsbremse". Aber auch Steuererhöhungen für Unternehmensgewinne und bei den höheren Ein- kommen. Die größte Widersinnigkeit ist vor dem Hintergrund der Staatsverschuldung aber die nicht erho- bene Vermögenssteuer und eine nur lächerlich geringe Erbschaftssteuer.

Interview: Heike Langenberg