Doch die Bilanz ist aus Gewerkschaftssicht nicht nur positiv

Der Ruf nach sozialen Mindestnormen in Europa wird wieder lauter. Gewerkschaften fordern sie schon seit langem. Jetzt haben die Arbeits- und Sozialminister von neun EU-Staaten eine Erklärung unterschrieben, in der sie sich für "neuen Schwung für ein soziales Europa" einsetzen. Mit unterschrieben haben Frankreich, Ungarn, Belgien, Bulgarien, Griechenland, Luxemburg, Spanien, Italien und Zypern.

Europa, das muss mehr sein als Euro und grenzenloser Handel FOTO: ILJA C. / VISUM Ilja C. Hendel / Visum

Detlev Bruse, beim ver.di Bundesvorstand zuständig für Europäische und Internationale Politik, vermisst Deutschland bei den Unterzeichnern. "Deutschland sollte unterschreiben", fordert er. Das Argument,das Land sei durch die derzeitige Ratspräsidentschaft an die Neutralität gebunden, zieht für ihn nicht. Er hält die fehlende Unterschrift für ein weiteres Indiz, dass sich die Bundesregierung derzeit vor einer klaren sozialen EU-Positionierung drückt.

Europa der zwei Geschwindigkeiten

Gerade zum 50. Jahrestag der römischen Verträge (siehe Kasten) hätte er sich gewünscht, dass das Soziale in den Vordergrund rückt. "Wir haben ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bekommen", kritisiert Bruse. Auf der einen Seite stehe eine europaweite Marktangleichung, die immer mehr Fahrt gewinne. Auf der anderen Seite werde sie auf dem Rücken der Arbeitnehmer/innen ausgetragen. Ihre Rechte werden ausgebremst im Wettlauf der Standortkonkurrenten.

"Es fehlt eine sozial schlüssige Gesamtwirtschaftspolitik", sagt der Gewerkschafter. "Wir brauchen eine Kurswende in Richtung auf ein europäisches Sozialmodell." Das war einmal anders. Bruse verweist auf die Zeit zwischen 1974 und 1980. Damals wurden EU-Richtlinien verabschiedet, beispielsweise zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben, zum technischen Arbeitsschutz, zum Schutz vor Massenentlassungen, zum Betriebsübergang oder zum Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Richtlinien, deren Umsetzung den Beschäftigten mehr Schutz und soziale Sicherheit bietet.

Der Euro, die Europäische Staatsbürgerschaft und die offenen Grenzen seien mittlerweile zu wenig, damit Europa von einer breiten Allgemeinheit akzeptiert werde. Deswegen müsse man sich nicht wundern, dass die Europäer/innen der EU skeptisch gegenüberstehen, was sich auch in einer ablehnenden Haltung zur Verfassung äußere.

Wenn am 25. März bei den Berliner Feierlichkeiten zum Jubiläum Bilanz gezogen wird, braucht die EU auch einen klaren sozialen Auftrag für die Zukunft. Längst hat sie sich von der ehemaligen Wirtschaftsgemeinschaft weg entwickelt, sie greift in viele Bereiche des täglichen Lebens ein und unmittelbar auch in die Arbeitswelt. Dazu könnte eine Erklärung, wie sie neun Mitgliedsstaaten unterschrieben haben, ein Beitrag sein - wenn eine solche Erklärung von einem breiteren Mandat der europäischen Regierungen getragen wird. Denn nur mit einem sozialen Auftrag kann die EU die überzeugen, die sie tragen und die von ihr profitieren sollen: die Bürgerinnen und Bürger der mittlerweile 27 Mitgliedsstaaten.

Römische Verträge

Am 25. März 1957 unterschrieben Vertreter Belgiens, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Luxemburgs und der Niederlande in Rom die so genannten Römischen Verträge. Damit gemeint sind der Vertrag zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Vertrag für die Europäische Atomgemeinschaft. Die Unterzeichnung gilt im Allgemeinen als die offizielle Geburtsstunde der Europäischen Union.

Dieses Ereignis jährt sich in diesem Jahr zum 50. Mal. Dazu findet in Berlin ein feierlicher Ratsgipfel mit den Regierungschefs der mittlerweile 27 EU-Mitgliedsstaaten statt. Der DGB beteiligt sich an einer Festmeile in Berlin mit einem Infostand.

Die offizielle Internet-Seite der Bundesregierung zur Ratspräsidentschaft:

www.eu2007.de

"Energischem Vorgehen im sozialpolitischen Bereich kommt die gleiche Bedeutung zu wie der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion"

Aus einem sozialpolitischen Aktionsprogramm, verabschiedet vom Rat im Januar 1974