Ausgabe 04/2007
Bürgerversicherung oder Kopfpauschale
Die Pflegeversicherung steht finanziell nach 2008 vor dem Aus, wenn jetzt nicht umgelenkt wird. Eine Gelegenheit für SPD und Union, ihren alten Zank um die Finanzierung zu recyclen
Die Politik müht sich derzeit nach Kräften, ein Déjà Vu zu produzieren. Bei der Pflegereform, die 2008 in Kraft treten soll, geht es im Grundsatz um den gleichen Konflikt wie bei der soeben in Kraft getretenen Gesundheitsreform: Bürgerversicherung contra Kopfpauschale. SPD und Union sind über die Richtung der Reform jedenfalls tief zerstritten. Der Reformbedarf jedoch ist offensichtlich: Die Reserven der Versicherung waren in den vergangenen Jahren regelmäßig aufgebraucht. Nun sondieren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) mögliche Kompromisslinien. Erst wenn die Eckpunkte stehen, sollen die Fraktionen beteiligt werden. Erst dann sei Zeit für eine öffentliche Debatte, mahnte Seehofer: "Wir haben furchtbar schlechte Erfahrungen gemacht mit der Kommunikation bei der Gesundheitsreform. Deshalb kann ich allen Beteiligten nur raten, dieses nicht zu wiederholen."
ver.di fordert die Bürgerversicherung
Trotz dieses ministeriellen Maulkorbs haben verschiedene Politiker den öffentlichen Schlagabtausch um die Pflege schon begonnen. So schlägt die bayrische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) eine private Pflicht-Zusatzversicherung mit einer Pauschalprämie von anfangs sechs Euro vor, die jährlich um einen Euro steigen soll. Dies sei so mit den Unionsländern abgesprochen.
SPD-Fraktionschef Peter Struck erteilte einer derartigen Kopfpauschale prompt eine Abfuhr. Die SPD lehnt Kopfpauschalen wie auch eine verpflichtende private Pflege-Zusatzversicherung ab, weil dadurch Geringverdiener überproportional belastet würden. Zusätzliche Pflegeleistungen wie etwa für Demenzkranke wollen die Sozialdemokraten über höhere Beiträge oder zusätzliche Steuermittel finanzieren - und die Privatversicherer zur Finanzierung grundsätzlich heranziehen. "Ich bin sicher, dass die Bevölkerung höhere Pflegebeiträge akzeptiert, wenn gleichzeitig die Leistungen verbessert werden", meint Struck.
Doch auch in eigenen Kreisen stößt Stewens mit ihrem Vorpreschen durchaus auf Widerstand. Der NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) betont, die Unionsländer seien nicht auf die Einführung einer Zusatz-Pauschale für die Pflege festgelegt. Wenn es eine Möglichkeit gebe, die steigenden Kosten über die Versicherungsbeiträge zu finanzieren, solle ihm dies Recht sein.
Warum das gleiche Hickhack bei der Pflege wie bei der Gesundheitsreform? Im Koalitionsvertrag ist lediglich festgelegt, die seit mehr als zehn Jahren unveränderten Leistungen der Pflegeversicherung anzupassen und Demenzkranke stärker zu berücksichtigen. Zudem soll eine Demographiereserve aufgebaut werden. Genug Raum für Streitigkeiten also.
ver.di plädiert für eine Bürger/innenversicherung. Damit könnten auch psychisch kranke und altersverwirrte Menschen endlich Leistungen erhalten. "Die Pflege muss zudem stärker mit Prävention, Akutversorgung und Rehabilitation verzahnt werden", sagt Herbert Weisbrod-Frey, bei der Gewerkschaft für Gesundheitspolitik zuständig.
Uta von schrenk