Ausgabe 06/2007
Achillesferse Finanzausgleich
ANNELIE BUNTENBACH ist Mitglied im Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand
Der Pflegekompromiss der Koalition enthält nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wichtige Verbesserungen für Pflegebedürftige, lässt aber die notwendigen Weichenstellungen für eine nachhaltig gerechte Finanzierung offen. Es war zwar abzusehen, dass sich die Union kaum auf einen Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung einlassen würde. Doch genau dies bleibt die Achillesferse der Reform. Wir fordern die SPD deshalb eindringlich auf, sich nicht mit diesem Protektionismus der Union zu
Gunsten der Versicherungskonzerne abzufinden, und erwarten, dass sie weiter Druck für einen Beitrag der Privaten Pflegeversicherung macht.
Auch wenn die langfristige Finanzierung vorerst ungeklärt und damit auch die Ungerechtigkeiten bestehen bleiben, ist die Pflegereform dennoch kein "Reförmchen". So haben die Koalitionspartner akute Verbesserungen für die Pflegebedürftigen beschlossen, die in wesentlichen Punkten dem entsprechen, was der DGB im Rahmen des Drei-Stufen-Modells für die Pflege vorgeschlagen hat. Mit der Reform kann nun vieles in Bewegung kommen, um die Qualität in der Pflege zu verbessern. Integrierte Pflege, wohnortnahe Unterstützung, Fallmanager der Pflegekassen und die Einführung einer Pflegezeit sind richtige
und wichtige Ansätze für eine neue Infrastruktur in der Pflege.
Auch die geplante Aufwertung der ambulanten Pflege und neue Anreize zur Stärkung der Rehabilitation sind notwendige Schritte. Positiv ist zweifellos auch, dass Demenzerkrankungen in die Pflegeversicherung aufgenommen werden. Nicht nachvollziehbar ist dagegen, dass die Dynamisierung der Leistungen erst ab 2015 langsam beginnen soll. Schließlich beträgt der Wertverlust der Pflegeleistungen schon heute 15 Prozent. Eine Angleichung darf deshalb nicht auf die lange Bank geschoben werden. Grund für die eher zaghafte Aufwertung der Pflegeleistungen ist sicherlich die Finanzierungsfrage. Hier hat sich die Koalition relativ frühzeitig auf eine Beitragserhöhung festgelegt, deren Bezifferung auf 0,25 Prozentpunkten dem Koalitionsfrieden geschuldet sein mag. Die Möglichkeiten, die Leistungen an das tatsächlich notwendige Niveau heranzuführen, bleiben damit jedoch sehr begrenzt.
Aus Gewerkschaftssicht sind andere Finanzierungsformen einer Beitragserhöhung vorzuziehen. Der DGB hat zum Beispiel vorgeschlagen, Sozialversicherungsbeiträge für pflegende Familienangehörige, die heute von der Pflegeversicherung getragen werden, künftig über Steuern zu finanzieren. Damit würden rund eine Milliarde Euro frei, die zur Finanzierung der Leistungen genutzt werden könnte. Nicht zuletzt fordern wir aber einen Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung. Die Unternehmen der PKV machen aufgrund der deutlich besseren Risikostruktur jährliche Gewinne von 1,5 Milliarden Euro, während die Rücklage der gesetzlichen Pflegekassen kontinuierlich schwindet. Ein solcher risikoadäquater Finanzausgleich hat aus Sicht des DGB absoluten Vorrang vor Beitragserhöhungen. Wenn eine solche Erhöhung aber angesichts der politischen Zwänge unvermeidbar ist, darf sie nicht einseitig auf die Versicherten abgewälzt werden. Die ohnehin bestehende Schieflage zu Lasten der Arbeitnehmer muss vielmehr jetzt korrigiert und darf nicht auch noch verschärft werden.
Letztlich ließe sich die Beitragserhöhung durch einen Finanzausgleich von privater und sozialer Pflegeversicherung aber vermeiden. Umso mehr ist es ein Skandal, dass die CDU/CSU weiterhin am Schutzzaun für private Versicherungskonzerne festhält und verhindert, dass wenigstens ein Teil der milliardenschweren Gewinne der Privaten Krankenversicherung für bessere Pflegeleistungen genutzt werden kann. Wenn die Union einen anständigen Finanzausgleich nicht blockieren würde, könnten die Leistungen an das tatsächlich notwendige Maß angepasst werden, oder die geplante Beitragsanhebung könnte erheblich niedriger ausfallen. Außerdem besteht in einem solchen Finanzausgleich ein hohes Potenzial für den Aufbau einer solidarischen Rücklage. Die Anhebung des Beitrags dagegen bedeutet insbesondere für Rentnerinnen und Rentner, dass die voraussichtlich mageren Rentenerhöhungen der nächsten Jahre nahezu aufgezehrt werden. Auf der anderen Seite bleiben Privatversicherte völlig verschont und werden durch die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zum Teil auch noch kräftig entlastet. Diese soziale Schieflage ist nicht vertretbar.
Diese Schieflage zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss jetzt korrigiert werden