Die Bundesregierung wollte schon Ende vergangenen Jahres den Niedriglohnsektor neu regeln. Herausgekommen sind jetzt bürokratische Regelungen, die nicht vielen Betroffenen helfen werden

VON HEIKE LANGENBERG

Arm trotz Arbeit: Die Mindestlohntour unterwegs

Vor dem Bundeskanzleramt vesammelten sich am Abend des 18. Juni rund 40 Gewerkschafter. Drinnen tagten die Spitzen der Regierungskoalition. Nach mehreren Anläufen und Vertagungen war für diesen Abend die Entscheidung angekündigt, ob in Deutschland ein Mindestlohn eingeführt werden soll.

Die ver.di-Truppe machte mit roten T-Shirts, gelben Warnwesten und großen Puppen auf die Forderung von ver.di und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten zum Thema Mindestlohn aufmerksam: mindestens 7,50 Euro pro Stunde. Die wartenden Journalisten stürzten sich mit ihren Kameras begierig auf die farbenfrohe Abwechslung. Ließ sich doch damit prima der Bericht über die faden Erklärungen aufpeppen, mit denen die Politiker im Laufe des Abends ihren Kompromiss verkaufen wollten: Auf mehr als die Ausweitung des Entsendegesetzes hatten sie sich nicht verständigen können.

Keine Basis für Vernunft

"Ich habe mir von der CDU/CSU mehr Verantwortungsbewusstsein erhofft. Sie hat die Chance vertan, Hungerlöhnen in Deutschland endlich ein Ende zu bereiten", zeigte sich die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane enttäuscht. Die Ausweitung des Entsendegesetzes könne nur ein erster Schritt sein. "Für einige Branchen wie beispielsweise die Postdienstleistungen oder den Einzelhandel und die private Entsorgungswirtschaft eignet sich die Regelung gut, um dem Druck auf die Löhne etwas entgegen zu setzen." Allerdings sei für vernünftige Regelungen in anderen Branchen, etwa bei Call-Centern, beim Wachschutz oder im Friseurhandwerk, keine Basis geschaffen worden.

Die Ausweitung des Entsendegesetzes bedeutet, dass Branchen mit einer Tarifbindung von mindestens 50 Prozent aufgenommen werden können. Den Antrag dazu müssen die Tarifparteien bis Ende März 2008 stellen, dann entscheidet ein Tarifausschuss darüber. Zustimmen muss dann aber noch das Bundeskabinett. Für Branchen, in denen diese Tarifbindung nicht erreicht wird, soll ein Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen reaktiviert werden.

Allerdings warnen beispielsweise Wissenschaftler vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung dann vor einer kaum kontrollierbaren Vielzahl von regional unterschiedlichen branchenbezogenen Mindestlöhnen. Außerdem würden viele kleinere Branchen höchstwahrscheinlich ganz durch die Maschen dieses Gesetzes fallen.

In der EU gelten in 18 von 25 Ländern Mindestlöhne. Das gern gegen ihn verwendete Argument, er würde Arbeitsplätze kosten, hat kürzlich der Wissenschaftler Klaus Bartsch in einem Gutachten widerlegt. Er geht davon aus, dass ein Mindestlohn den Konsum bei den Bezieher/innen niedriger Einkommen spürbar anregen würde. Kurz- und mittelfristig würde dieser Nachfrageschub rund 450000 neue Stellen bringen. Langfristig und bei einer schrittweisen Anhebung auf 9 Euro pro Stunde würden davon immer noch 100000 Jobs bleiben. "Durch die Einführung eines Mindestlohns lassen sich die materiellen Lebensgrundlagen einiger Millionen zur Zeit prekär niedrig entlohnter Beschäftigter verbessern, ohne dass Beschäftigungsverluste zu erwarten sind", ist sein Resümee.

Deswegen wird ver.di sich weiter für den Mindestlohn einsetzen - auch mit Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr. Denn nur mit ihm lässt sich die Lebenssituation von Millionen Betroffenen dauerhaft verbessern. www.mindestlohn.de

Die Ausstellung "Arm trotz Arbeit", die ver.di bei der gerade abgeschlossenen Mindestlohn-Tour in 50 deutschen Städten gezeigt hat, steht jetzt auch virtuell aufbereitet im Internet unter www.mindestohn.de/ausstellung

Die Studie von Klaus Bartsch steht ebenfall auf der Seite unter www.mindestlohn.de/material/studien_und_dokumente/mindestlohn_schafft_jobs