Eine gemeinsame Fachtagung von GEW und ver.di beschäftigte sich mit der Analyse und den Perspektiven der Arbeitsmarktgesetze

Der Schulranzen ist zu breit, die Tüte zu lang, dazwischen klemmt ein ABC-Schütze. Ende August hat in Hessen das neue Schuljahr begonnen. Aber nicht für alle Kinder, geschweige denn für deren Eltern, ist das ein Anlass für freudig-gespannte Erwartung. Vor allem dann nicht, wenn sie als "sozial schwach" gelten, Hartz IV eben. Bleistifte, Hefte, Radiergummi werden zum Problem. Rund 200 Euro bei Schulbeginn, dann noch einmal 70 Euro jedes Jahr rechnen soziale Initiativen in einer mittelhessischen Stadt. Eine wachsende Zahl von Eltern kann das materielle Rüstzeug für die Bildung ihrer Kinder nicht aufbringen. Die Falle schnappt zu und erfasst die Kinder gleich mit.

Eine Fachtagung von GEW und ver.di Hessen zum Thema "Ein-Euro-Jobs und Hartz IV-Analysen und Perspektiven" fand einige Wochen früher, nämlich Anfang Juli, im Frankfurter Gewerkschaftshaus statt. Sozialwissenschaftler, gewerkschaftliche Praktiker, viel Kompetenz war im voll besetzten Leuschner-Saal aufgeboten, um das Thema von allen Seiten zu beleuchten. Der Sozialwissenschaftler Dr. Siegfried Buchhaupt beschrieb im Einleitungsreferat das "Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", kurz Hartz IV, als eines der "umstrittensten Vorhaben der Nachkriegszeit mit fundamentalen Auswirkungen" besonders auf die Arbeitsbeziehungen.

Breite Kampagne gegen Hartz-Gesetze gefordert

Das Fazit der Tagung: Als Ergebnis gewerkschaftlicher und gesellschaftlicher Bewegungen hatte sich auch in der Sozialgesetzgebung das Verständnis herausgebildet, dass Arbeitslosigkeit weder individuelles Verschulden, noch unabwendbarer Schicksalsschlag ist, sondern "typisches Risiko großer und ständig wachsender Teile der Bevölkerung in der industrialisierten und privatwirtschaftlich produzierenden Welt". Folglich orientierten sich Leistungen bei Arbeitslosigkeit an den Löhnen. Mit verschiedenen Stufen der Zumutbarkeitsregelungen bei der Vermittlung in neue Arbeit gab es eine Barriere vor der beruflichen Enteignung. Hartz IV hebt diesen - ohnehin durchlöcherten - Berufsschutz auf. Zumutbar ist, was legal und nicht sittenwidrig ist. Hartz IV verlagert die Schuld an der Arbeitslosigkeit auf die Individuen (Faulheit, Unlust).

Hartz IV hebt die arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Ein-Euro-Jobs auf, denn sie stellen kein Beschäftigungsverhältnis mehr dar, sondern sind "Maßnahmen", denen man sich nur bei Strafe entziehen kann und in denen nach Auffassung der Gewerkschafter "die Tradition von Fürsorgeverhältnissen und des Arbeitshauses belebt" werden.

Auf diese Weise rauben die Agenda-Gesetze berufliche Qualifikation und arbeitsrechtliche Würde. Sie bilden zugleich einen Prellbock gegen Tarifverträge und Tarifautonomie. Zuhauf werden Beispiele angeführt, wie über Ein-Euro-Jobs Lohndumping praktiziert und Abbau regulärer Arbeitsplätze betrieben wird. Als schwerer Vorwurf gegen soziale Einrichtungen gerade im Frankfurter Raum wurde angeführt, dass Träger die Billigjobber als eigene Einnahmequellen benutzen, denn sie erhalten Zuschüsse.

Nicht selten auch, dass massiv gegen gewerkschaftliche Interessenvertretungen vorgegangen wird. Somit sind die Forderungen der Konferenz nur konsequent, wenn sie reguläre Beschäftigungsverhältnisse, eine Erhöhung des Eckregelsatzes auf 500 Euro, einen Mindestlohn von zehn Euro in der Stunde und eine "breite Kampagne für die Aufhebung von Hartz IV" verlangen. Nicht nur, weil die unsozialen Folgen "erblich" sind. Denn sie prägen auch das Leben der Kinder und Kindeskinder.Renate Bastian