ver.di-Modellprojekt zwingt Dortmunder Großhändler zurück in die Tarifbindung

Vor wenigen Wochen gab das Dortmunder Großhandelsunternehmen Vreriksen nach. Von einem ver.di-Projekt und der Öffentlichkeit unter Druck gesetzt, kehrte die Firma in die Tarifbindung zurück. Und so hatte es begonnen: Vor dem Firmengebäude schweben im April 2005 eines Morgens viele Mäuse in der Luft, natürlich keine echten - Sinnbilder für die Mäuse, die den Mitarbeiter/innen vorenthalten werden, seit ihr Chef die Tarifbindung aufgekündigt hat.

ver.di Dortmund machte mit der Aktion Beschäftigte und Presse darauf aufmerksam, dass jeder der 140 Vreriksen-Mitarbeiter in einem Zeitraum von zwei Jahren durchschnittlich 800 Euro weniger Lohn erhalten hatte.

Die Idee aus den USA

Das war nur eine von vielen Ideen, mit denen ver.di im Rahmen dieses Modellprojekts Organizing die Tarifflucht des Vreriksen-Geschäftsführers Gerd Pelzer anprangerte. Mehr als zwei Jahre lang wurden Mitglieder gewonnen. Eine handlungsfähige ver.di-Basis entstand, die Aktionen startete, mit denen sie den Arbeitgeber schließlich zurück in die Tarifbindung brachte.

"Ohne unser Organizing-Projekt hätten wir das nicht erreicht", sagt die zuständige ver.di-Handelssekretärin in Dortmund, Birgit Haverkemper. Das in den USA seit langem bewährte Organizing setzt auf eine stärkere Basis, auf planmäßiges und vor allem öffentlichkeitswirksames Vorgehen bei konkreten Problemen wie der Tarifflucht im Fall Vreriksen.

Schon 2002 hatte Geschäftsführer Pelzer diesen Schritt angekündigt. Besonders pikant daran: Er übte damals in Personalunion das Amt des Vorsitzenden beim örtlichen Arbeitgeberverband Großhandel aus, eines Verbandes also, der für die Aushandlung von Tarifverträgen zuständig ist, nun aber allen Mitgliedsfirmen anheim stellte, sich der Tarifbindung zu entziehen.

Ein Unding, urteilte man bei ver.di Dortmund und plante, der Tarifflucht etwas entgegenzusetzen. Die Idee des Organizing-Projekts war geboren. Rückhalt gab es durch die Bundesfachgruppe Großhandel und ihren Vorsitzenden Rainer Jäkel, fachliche Begleitung durch den erfahrenen Organizer Jeffrey Raffo, der für Organisation und Kampagnen (kurz OrKa) zuständig ist. "Die Ausgangssituation bei Vreriksen war extrem schlecht", beschreibt Jeffrey Raffo die Startphase des Projekts. "Der Betriebsrat rührte sich nicht, kaum jemand in der Belegschaft zeigte Kampfgeist." Immerhin: Eine Handvoll Beschäftigte fand ver.di, die sich nicht mit der Situation abfinden wollte.

Der Start

Sie starteten eine erste kleine Aktion im Betrieb. "Im Unternehmen fehlten Ersthelfer, obwohl jeder Arbeitgeber verpflichtet ist, Leute entsprechend auszubilden. Die aktiven Kollegen haben Zettel im Betrieb verteilt, um auf den Missstand hinzuweisen", erzählt Raffo. Zwar beschwerte sich Geschäftsführer Pelzer über die Aktion, kam aber innerhalb von zwei Wochen der Forderung nach, die Ersthilfe zu sichern.

Ein erster Erfolg, der die Aktiven und die Belegschaft motivierte. Jeffrey Raffo ist überzeugt, dass das Projekt gescheitert wäre, hätten die Kollegen gleich zu Beginn das Problem mit der Tarifflucht anpacken müssen. Nun aber ging es richtig los. Die Initiative "BürgerInnen für Tarifverträge" um den Sozialwissenschaftler Klaus Kock, Arbeitslose und ver.di-Mitglieder aus anderen Fachbereichen beteiligten sich am Projekt. Sie verteilten zum Beispiel Flugblätter während einer Messe, die Vreriksen gesponsert hatte. Bei der Verleihung eines Managerpreises an Geschäftsführer Pelzer informierten die Mitstreiter des Projekts die Jury über die Tarifflucht.

Die Mäuseaktion vor dem Betrieb öffnete nicht nur den Beschäftigten die Augen über ihren Lohnverlust, sondern mobilisierte örtliche Journalisten. Andere interessierte Gewerkschaften und Betriebsräte unterstützten das Projekt. Alles in allem, schätzt ver.di-Sekretärin Birgit Haverkemper, hätten sich mehr als 100 Menschen aktiv beteiligt. Vor einigen Wochen lenkte Pelzer schließlich ein. Der anhaltende öffentliche Druck hat den Ausschlag gegeben, davon sind die Macher des Dortmunder Organizing-Projekts überzeugt.