Ausgabe 01/2008-02
Anstehen
Heinrich Zille | Drei Millionen Kinder in Deutschland leben heute in Armut. Für die Akademie der Künste in Berlin eine höchst aktuelle Verbindung zum künstlerischen Schaffen von Heinrich Zille (1858 - 1929). Aus Anlass des 150. Geburtstages des Berliner Künstlers zeigt sie eine beeindruckende Werkschau aus Zeichnungen, Grafiken und Fotografien der Jahre 1890 bis 1914. Fotos und Zeichnungen zeigen Hinterhöfe, Kellerwerkstätten und Gassen. Atmosphärisch verdichtet der Alltag jener, die unter den sozialen Missständen am meisten zu leiden hatten: Kinder und Frauen. Auch wenn die Menschen bei ihren seltenen Vergnügen in Lokalen oder auf dem Jahrmarkt fröhlich zu sein scheinen. Seine Helden sind Arbeiter, Obdachlose, Straßenhändler; oft Frauen, die schwere Karren ziehen oder ein halbes Dutzend Kinder mit sich schleppen - und letztlich Kinder in Hinterhöfen. Selten hat ein Künstler als präziser Beobachter so eindrucksvoll Realität von Not und Armut nachgezeichnet.
GL
AKADEMIE DER KÜNSTE BERLIN, AM BRANDENBURGER TOR, BIS 24.MÄRZ, DI-SO 11-20 UHR. ERGÄNZENDE AUSSTELLUNG IM BERLINER STADTMUSEUM EPHRAIM-PALAIS, BEGLEITET VON VERANSTALTUNGEN. DAZU MATTHIAS FLÜGGE: HEINRICH ZILLE. BERLINER LEBEN. PHOTOGRAPHIEN, DRUCKGRAPHIK, ZEICHNUNGEN, VERLAG SCHIRMER/MOSEL, 29,80 €
All-inclusive. Die Welt des Tourismus | Martin Parr darf bei einer Ausstellung über das Reisen nicht fehlen. Wie kaum ein anderer Fotograf hat er mit seinen grell ausgeleuchteten Bildern über britische Touristen inzwischen die Welt erobert. Er ist zum Reisenden in eigener Sache und somit selbst zum Touristen geworden. Und auch darüber legt er ironisch in einer fortlaufenden Selbstporträtserie Zeugnis ab. Spaß, Sonnenbrand, Erholung, Abenteuer, versteckte Paradiese, Tapetenwechsel - mit dem Reisen lässt sich vieles verbinden. Reisen bildet auch. Aber die Welt des Tourismus ist mittlerweile ein kapitales Geschäft, das - wenn nötig - Illusionen vor Ort schafft, wenn das Geld für die Traumreise nicht reicht. Reiner Riedlers Bilder zeigen diese Fakes vom Urlaub, etwa unter Palmen im Tropical Island irgendwo in der europäischen Pampa. Die Arbeiten von rund 30 internationalen Künstlern in der Frankfurter Schirn werfen Zwischenblicke auf das Reisen, auf Nebenwirkungen und Fantasien. Man kann sich seine einsame Insel nämlich auch daheim in der Küche schaffen. Und reist stattdessen mal zu dieser Ausstellung.
PEWE
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, RÖMERBERG, BIS 4. MAI, DI, FR-SO 10-19 UHR, MI/DO 10-22 UHR
Thomas Baumgärtel. Bananenenzyklopädie | Gesehen hat sie jeder schon mal. Eine recht große, gelbe Banane, irgendwo an die Mauer eines Museums oder einer Galerie gesprüht. Rund 4000 von ihnen markieren Orte der Kunst weltweit, als wären sie Wegweiser. Tatsächlich kennzeichnen sie Stationen des Künstlers Thomas Baumgärtel. Denn angefangen hatte alles einmal 1983 in einem katholischen Krankenhaus, in dem der Künstler den fehlenden Leib Christi am Kreuz im Krankenzimmer durch seine Frühstücksbanane ersetzte. Aus dem Vorwurf der Blasphemie entwickelte sich seine bis heute andauernde Auseinandersetzung mit Kunst. Was ist Kunst? Was darf Kunst? Wo findet man Kunst? Was will Kunst? Das daraus immer auch ein öffentlicher Diskurs wurde, blieb nicht aus, weil Baumgärtel auch nicht die Hüter der so genannten hohen Kunst mit seiner Banane verschonte. Im Museum Goch ist nun erstmals auch seine Banane von 1983 samt Kreuz zu sehen sowie die in den vergangenen 20 Jahren entstandene Bilderserie Die Metamorphose der Spraybanane. So viel Zeit hat die Sache gebraucht. Heute malt Baumgärtel wieder - ohne Bananen.
PEWE
MUSEUM GOCH, KASTELLSTR. 9, BIS 30. MÄRZ, DI-FR 10-17 UHR, SA/SO 11-17 UHR
Fotos: promo; verleih