Eine schrumpfende Größe

Der Wandel auf dem Arbeitsmarkt sorgt dafür, dass immer mehr Menschen mit weniger Geld auskommen müssen. Gewinne und Vermögenseinkommen wachsen hingegen weiter

Nur noch ein Schatten ihrer selbst: die Mittelschicht

Lange Zeit war die Mittelschicht eine feste Größe in Deutschland. Bis in die 80er Jahre hinein gehörten ihr in Westdeutschland stabil 64 Prozent der Gesamtbevölkerung an. Nach der Wiedervereinigung zählten die Forscher 62 Prozent der Gesamtbevölkerung dazu, immerhin 49 Millionen Durchschnittsverdiener. Doch diese konstante Größe schrumpft. Blieb die Mittelschicht bis zum Jahr 2000 weiter gleich, verkleinerte sie sich bis 2006 auf nur noch 54 Prozent. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausgefunden.

Das jährliche Durchschnittseinkommen definieren die Forscher für 2006 mit rund 16000 Euro. Zur Mittelschicht zählen sie, wer in seinem Haushalt pro Person zwischen 70 und 150 Prozent dieser Summe netto zur Verfügung hat. Gewachsen ist hingegen die Unterschicht, die mit unter 70 Prozent des Durchschnittseinkommens rechnen muss. Zählte man vor acht Jahren noch rund 18 Prozent der Bevölkerung dazu, sind es mittlerweile 25 Prozent.

Das stehe "vor allem im Zusammenhang mit der starken Zunahme der Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger", schreiben die Forscher in ihrem Bericht. In den Jahren 2002 bis 2006 seien "das Risiko für Arbeitslosigkeit deutlich größer, die Dauer der Arbeitslosigkeitsperioden länger und die Höhe der Lohnersatzleistungen durch die Einführung von Arbeitslosengeld II im Vergleich zur Arbeitslosenhilfe deutlich niedriger" geworden.

Durch Teilzeit und Minijobs sinken die Einkommen

Auch der Wandel der Arbeitswelt sei für das Schwinden der Mittelschicht mitverantwortlich. Statt sozialversicherungspflichtiger Vollzeitarbeit gewinnen Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung immer größere Bedeutung. Damit sinken die Einkommen.

Denn wer Arbeit hat, dem ist ein auskömmliches Einkommen noch längst nicht garantiert. "Gegenüber 1995 ist der Niedriglohnanteil in Deutschland um gut 43 Prozent gestiegen", sagen Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf, die eine Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen erstellt haben. Besonders betroffen seien Frauen, Jüngere, Migrant/innen und gering Qualifizierte.

Insgesamt gehen die beiden Wissenschaftler von rund 6,5 Millionen Niedriglohnbeschäftigten (22,2 Prozent) bundesweit aus. Als Niedriglohn definieren sie Stundenlöhne unter 9,61 Euro (West) beziehungsweise 6,81 Euro (Ost). 2006 waren davon 91,7 Prozent der Minijobber/innen betroffen, aber auch 14,3 Prozent der Vollzeit-Beschäftigten. Damit habe Deutschland den höchsten Anteil von Niedriglöhner/innen in Kontinentaleuropa.

Als Gründe nennen Claudia Weinkopf und Thorsten Kalina sinkende tarifliche Standards, Ausgliederung, Zeitarbeit und Lohnabschläge bei Minijobs.

Wachstum ohne Einkommenszuwachs

Ähnlich argumentiert auch Gustav Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, in einer Untersuchung der aktuellen Aufschwungperiode. Von "politisch gewolltem Lohndruck" ist da die Rede, der dazu geführt habe, dass es zwischen 2004 und 2007 erstmals ein "Wachstum ohne Einkommenszuwachs" gegeben habe. Betroffen waren vor allem die Arbeitnehmer/innen, denn die realen Nettolohneinkommen gingen sogar um 1,5 Prozent zurück - durch eine Kombination aus niedrigen Tarifabschlüssen und einer starken Preissteigerung.

Gestiegen seien hingegen - so die IMK-Untersuchung - Gewinne und Vermögenseinkommen: "Als direkte Folge der geringen Lohnsteigerungen sind die Gewinne der Unternehmen geradezu explodiert." Das zeigen auch Zahlen aus dem Jahr 2007. Die 30 Dax-Unternehmen zahlten insgesamt rund 28 Milliarden Euro an Dividenden aus, 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Ihre Gewinne stiegen um 14 Prozent.

Aus der Mitte geht es seltener nach oben

Zwar nimmt auch in der Mittelschicht der Anteil der Aktienbesitzer/innen zu. Doch die Wanderung aus der Mittel- in die Oberschicht ist nach DIW-Angaben mit einer Zunahme von zwei Prozentpunkten in sechs Jahren eher gering. Dafür haben sich innerhalb der Oberschicht die Gewichte verschoben. Der Anteil derjenigen, die über 200 Prozent des Durchschnittseinkommens und mehr verfügen, ist von 1996 bis 2006 um 43 Prozent angestiegen.