Ausgabe 03/2008
Es wird zu wenig geprüft
Mehr Betriebsprüfer und Steuerfahnder fordert Reinhard Kilmer. Denn die große Steuerhinterziehung findet nicht in Liechtenstein statt
Reinhard Kilmer, 57, Steuerfahnder in Bochum. Betreut ehrenamtlich bei ver.di Steuerfahnder und Betriebsprüfer
ver.di PUBLIK | Herr Kilmer, die Bochumer Staatsanwaltschaft ist zuständig für die Aufklärung der Liechtensteiner Steuer-Affäre. Haben Sie auch damit zu tun?
Reinhard Kilmer | Diesmal nicht, und da bin ich nicht traurig. Wir haben ja schon einmal eine CD-ROM mit Kontendaten aus Liechtenstein erhalten - das war Anfang 2000, in der "Batliner-Affäre". Fünf Jahre lang waren wir nur damit beschäftigt, knapp hundert Verfahren abzuwickeln. Ich bin froh, dass der Fall diesmal von den Wuppertaler Kollegen bearbeitet wird.
ver.di PUBLIK | Die Batliner-Affäre hat damals längst nicht so viel Wirbel verursacht wie der jetzige Steuer-Skandal. Woran liegt das?
Kilmer | Mit Ex-Postchef Klaus Zumwinkel wurde von der Staatsanwaltschaft zum Auftakt des Verfahrens nicht zufällig ein Prominenter gewählt. Auch SPD-Finanzminister Peer Steinbrück hatte vermutlich ein Interesse, dass Druck auf Liechtenstein entsteht. Ich bin seit über 20 Jahren in der Steuerfahndung - aber einen solchen Medienrummel habe ich noch nie erlebt.
ver.di PUBLIK | Die öffentliche Debatte konzentriert sich jetzt auf die Steueroasen. Sind sie tatsächlich das größte Problem bei der Steuerhinterziehung?
Kilmer | Nicht versteuerte Kapitalerträge wie jetzt in Liechtenstein sind von einigem Gewicht. Aber die große Steuerhinterziehung findet woanders und im Inland statt: bei der Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer.
ver.di PUBLIK | Wieviel Steuern sind das im Jahr?
Kilmer | Da gibt es nur wilde Spekulationen, die von 50 bis 100 Milliarden reichen. Gesicherte Erkenntnisse kann es gar nicht geben, denn die Steuerhinterziehung spielt sich ja im Dunkeln ab. Aber das Ausmaß ist gigantisch.
ver.di PUBLIK | In Großbritannien gibt es Hotlines, die Bürger anonym anrufen können, um Steuersünder zu melden. Eine gute Idee auch für Deutschland?
Kilmer | Ich bin dagegen, das Denunziantentum zu fördern. Auch jetzt melden sich bei uns schon genug verlassene Ehefrauen - oder Nachbarn, die jemanden anzeigen, weil er in seiner Freizeit schwarz Autos repariert. Da wird viel schmutzige Wäsche gewaschen. Die Steuerfahndung sollte sich nicht zum Instrument eines Rachefeldzugs machen lassen. Wir sind doch nicht im Wilden Westen. Viel besser wäre mehr Personal - nicht nur bei der Steuerfahndung, sondern auch bei der Betriebsprüfung.
ver.di PUBLIK | Bedienen Sie damit nicht ein Klischee? Jeder würde von einer Gewerkschaft erwarten, dass ihr als erstes einfällt, mehr Stellen zu fordern.
Kilmer | Auch der Bundesrechnungshof kritisiert, dass zu wenig geprüft wird! Bei einer Erhebung zeigte sich, dass nur jeder sechste Einkommensmillionär überprüft wird - obwohl jede Kontrolle zu einer Nachzahlung von durchschnittlich 135000 Euro führte. Und Betriebe müssen überhaupt nur damit rechnen, dass ihre Bücher alle 50 Jahre überprüft werden. Die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer hingegen können nicht mogeln, weil sie ihre Steuern direkt vom Lohn abführen. Momentan haben wir hier eine erhebliche Schieflage - und der Arbeitnehmer ist mal wieder der Dumme.
ver.di PUBLIK | Ganz konkret: Wieviel treiben Sie denn jährlich ein?
Kilmer | Im Durchschnitt nimmt ein Steuerfahnder pro Jahr 700000 Euro ein. Seine Lohn- und Pensionskosten liegen aber nur bei 80000 Euro jährlich.
ver.di PUBLIK | Das klingt wie ein sehr lukratives Geschäft für den Staat. Und warum gibt es dann so wenige Steuerfahnder?
Kilmer | Die Länderfinanzminister machen eine ganz andere Rechnung auf. Von jedem zusätzlichen Euro bleiben ihnen nur zehn Cent, weil der Rest in den Länderfinanzausgleich fließt. Und auch die finanzschwachen Nehmer-Länder haben kein Interesse, ihre Steuerfahndung auszubauen - dann würden ja automatisch ihre Zuschüsse gekürzt.
ver.di PUBLIK | Gibt es denn Erkenntnisse, wie viele Steuerfahnder insgesamt fehlen?
Kilmer | Laut Finanzverwaltung werden bundesweit mindestens noch 3000 Betriebs-prüfer und 500 Steuerfahnder benötigt. Besonders in Bayern und Baden-Württemberg fehlt Personal - das ist eine Art Standortpolitik. Firmen werden angelockt, weil sie sich sicher sein können, dass ihre Bücher fast nie kontrolliert werden.
ver.di PUBLIK | Momentan laufen die Verhandlungen zur Föderalismusreform II, die sich mit den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern befasst. Was würden Sie den Politikern raten?
Kilmer | Eigentlich benötigen wir eine Bundesfinanzverwaltung. Aber zumindest müssten die Länder besser kooperieren. Momentan ist es schon ein logistisches Highlight, wenn eine Steuerakte in ein anderes Land gebracht werden soll. Wer in Deutschland Probleme mit dem Finanzamt hat, muss nur in ein anderes Bundesland umziehen - dann ist er weg vom Radar.interview: ULRIKE HERRMANN
Der Bereich Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand hat die Broschüre
Skandal Steuervollzug
herausgegeben. Darin werden beispielsweise das Zwei-Klassen-Steuersystem und der Personalmangel bei den Finanzamtbeschäftigten kritisiert. Außerdem werden die ver.di-Alternativen vorgestellt. Die Broschüre kann unterhttp://wipo.verdi.de heruntergeladen werden.