Handeln auf Rumänisch

Einen Tarifvertrag auszuhandeln, will gelernt sein. In einem gemeinsamen Projekt trainieren der Handelsgewerkschaftsbund FSC und ver.di für die kommenden Verhandlungen

Geschäftsführer Vasiliu (li) und Betriebsrat Koschmieder (re)

Marius tritt mit seiner siebenköpfigen Verhandlungskommission vor den Arbeitgeber. "Wir freuen uns, dass Sie mit uns verhandeln wollen. Uns ist da ein kleines Problem bei der Zulage aufgefallen." Für Samstags- und Sonntagsarbeit der rumänischen Metro-Beschäftigten wollen sie eine Zulage von 50 Prozent auf das übliche Gehalt erreichen. Ihre Begründung: Am Wochenende werde der meiste Umsatz gemacht, da müssen die Beschäftigten besonders motiviert werden. Doch ihre Gegenüber beeindruckt das nicht: Nach der Logik könnten sie dann an schwachen Tagen das Gehalt senken. Und der Samstag sei laut Branchentarifvertrag ohnehin ein normaler Arbeitstag. Da gerät Marius, der bei Real in der westrumänischen Stadt Timisoara arbeitet, schnell ins Schwimmen mit seiner Argumentation.

Zum Glück übt er erst einmal. Die Arbeitgeber werden an diesem Tag nur gespielt: von Sigmar Roeder vom ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg und Vasile Gogescu, Vorsitzender des rumänischen Handelsgewerkschaftsbunds FSC. In einem Projekt zum Sozialen Dialog (siehe Kasten) will ver.di gemeinsam mit dem FSC die Beschäftigten der Metro-Töchter Metro Cash&Carry (Großhandel) und Real (Einzelhandel) in Rumänien fit machen für die Tarifverhandlungen, die im Frühjahr anstehen. In beiden Unternehmen haben sich gerade Betriebsgewerkschaften gegründet - und die sind dann erstmals Ansprechpartner.

In mehreren Wochenendseminaren bereitet ver.di die meist jungen rumänischen Gewerkschafter auf die Verhandlungen vor. Es sind ihre ersten. Was fordere ich? Wie wichtig sind Arbeitsbedingungen, Lohn oder Zuschläge? Auf welche Dinge kann ich mit einem Tarifvertrag überhaupt Einfluss nehmen? Und was sind die Aufgaben betrieblicher Interessenvertretung?

Ein Eigentor ist schnell geschossen

"Wenn ein Mitarbeiter einen Konflikt mit der Geschäftsleitung hat, gab es bisher niemanden, der ihn vertritt. Keiner kannte die Gesetze, jetzt bekommen wir über die Gewerkschaft Zugang zu den Informationen", sagt Raul Priboi. Der 27-Jährige leitet im Metro Cash&Carry-Markt in Brasov die Abteilung für Büromaterial und ist eins der Gründungsmitglieder der dortigen Betriebsgewerkschaft. Für die will er jetzt erst einmal Mitglieder werben. Dann hofft er, bei den anstehenden Verhandlungen eine bessere Bezahlung der Beschäftigten durchzusetzen.

Die Probe des Ernstfalls hilft. Wie reagieren die Arbeitgeber? Und wie reagieren die meist noch unerfahrenen Gewerkschafter darauf? "Arbeitgeber" Vasile Gogescu ist plötzlich ganz freundlich, schlägt einer anderen "Verhandlungskommission" vor, eine betriebliche Altersvorsorge aufzubauen. Auch bei den Gehaltsvorstellungen in der unteren Gruppe ist er sehr entgegenkommend, 590 Lei, umgerechnet rund 160 Euro, zuzüglich 290 Lei für die Rentenversicherung. Doch was so positiv scheint, ist ein Eigentor der jungen Gewerkschafter. Sie haben nicht berücksichtigt, dass der Mindestlohn für Handelsbeschäftigte ab dem Sommer ohnehin auf 590 Lei steigen wird. Mit ihrem Ergebnis sind sie jetzt immer noch weit vom rumänischen Durchschnittsbruttolohn von 1402 Lei (383 Euro) entfernt. Und die Preise nähern sich schon westlichem Niveau. Ein Liter Milch kostet in einem rumänischen Metro-Markt annähernd so viel wie in einem deutschen.

Der EU-Beitritt Rumäniens Anfang 2007 hat den Druck auf den Arbeitsmarkt erhöht. Nach Angaben der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet mittlerweile rund ein Fünftel der rumänischen Erwerbsbevölkerung im Ausland, vor allem in Italien und Spanien. Häufig sind es junge, qualifizierte Männer und Frauen, die wegen höherer Löhne weggehen. Das spürt auch Vlad Vasiliu, Geschäftsführer von Metro Cash&Carry im Westen Brasovs. 276 Beschäftigte arbeiten in diesem Betrieb in Vollzeit, acht Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, zwischen 6 und 22 Uhr, sonntags erst ab 8 Uhr. Urlaub haben sie an maximal 24 Tagen pro Jahr. Allein in 2007, so sagt Vasiliu, hatte er nach 250 Tagen 276 neue Arbeitsverträge geschlossen. Immer wieder kündigen Leute, gehen ins Ausland oder wechseln zur Konkurrenz, wo sie besser bezahlte Posten bekommen. Der Handelsmarkt ist in Rumänien im Aufbruch. Vasiliu geht davon aus, dass der Bedarf an großen Supermärkten gerade mal zu 30 Prozent gedeckt ist.

Von außen gleich, drinnen viel mehr Personal

Auch für ihn ist es schwierig, qualifiziertes und motiviertes Personal zu finden. Dabei sei Metro eines der wenigen Unternehmen, das viele Möglichkeiten zur internen Qualifikation bietet, sagt Vasile Gogescu von der FSC. Denn die früher übliche dreijährige Fachschule für Handel sei in den 90er Jahren abgeschafft worden. Die FSC führt zurzeit Gespräche mit dem Kultusministerium über die Notwendigkeit einer geregelten Ausbildung.

Äußerlich gleichen die rumänischen Metro Cash&Carry-Märkte denen in anderen europäischen Ländern. Innen fällt Michael Koschmieder, Betriebsratsvorsitzender des Metro-Marktes in Berlin-Pankow, sofort ein wesentlicher Unterschied auf: deutlich mehr Personal. Während in Brasov 276 Beschäftigte für eine Verkaufsfläche von 7500 Quadratmetern zuständig sind, sind es in dem Berliner Markt halb so viele Leute für eine doppelt so große Fläche. "Daran merkt man, wie billig Arbeitskräfte hier noch sind", sagt Koschmieder. Er ist mit nach Rumänien gefahren, um den Rumänen aus seiner betrieblichen Praxis und von den Erfahrungen mit dem Arbeitgeber Metro zu berichten.

Die rumänischen Gewerkschafter sollen mit diesem Wissen ihren eigenen Weg zu einer guten Interessenvertretung finden. So lobt Raul Priboi die Zuschläge, die in Deutschland für Arbeit an Abenden oder Samstagen gezahlt werden. Besser findet er am rumänischen System, dass es für bestimmte Gehaltsgruppen nicht eine feste Summe gibt, sondern eine Spanne angegeben wird. "Nicht jeder arbeitet gleich, damit kann man unterschiedliche Leistung besser anerkennen", sagt der 27-Jährige. Mit dem neuen Tarifvertrag wollen er und seine Kolleg/innen mehr geschätzt werden für ihre Arbeit. Vielleicht, so hofft er, ließe sich dann auch die hohe Fluktuation stoppen.

Das Projekt

Seit Dezember 2006 veranstalten der Bereich Europäische und Internationale Politik des ver.di-Bundesvorstands und der ver.di-Fachbereich Handel das Projekt "Förderung des betrieblichen Sozialen Dialogs in einem multinationalen Unternehmen in Rumänien am Beispiel von Metro Rumänien". Konzeptionell wird das Projekt von der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder begleitet; das Bundesministerium für Arbeit finanziert es. Projektpartner auf rumänischer Seite ist der Handelsgewerkschaftsbund FSC. In einem Zeitraum von zwei Jahren werden in Rumänien Gewerkschaftsmitglieder aus Metro-Unternehmen geschult. In einer festen Gruppe geht es dabei um Arbeitsbedingungen oder die Vorbereitung von Tarifverhandlungen. Aus Deutschland berichten immer wieder Praktiker (Metro-Betriebsräte und Gewerkschaftssekretäre) von Aufgaben der Arbeitnehmervertretung und von aktuellen Entwicklungen im Konzern. Da es sich um einen sozialen Dialog handelt, nehmen auch Vertreter der rumänischen Metro-Personalleitung an den Veranstaltungen teil. Im Juni wird die Gruppe für fünf Tage nach Deutschland kommen, unter anderem Metro-Märkte besuchen und sich mit Mitgliedern der Tarifkommission treffen.