Der Duft der Musik

Popdeurope '08 | Ein Musikfestival erkennt man gewöhnlich auch mit verschlossenen Augen und verklebten Ohren. Ein Festival riecht. Wird Rock gespielt, stinkt es nach Bier und Schweiß, bei Punk mischt sich gern ein Hauch nasser Hund ein, und durchs Reggae-Festival wabert der süßliche Geruch von Haschisch. Im Vergleich dazu ist der Besuch des Popdeurope nicht nur olfaktorisch ein ungleich größeres Abenteuer. Denn das Popdeurope duftet nach Weite, nach Fernweh, nach dem Meer gar.

Das hat viel mit der Musikauswahl zu tun, die traditionell auf jamaikanische Musik und solche mit afrikanischen Wurzeln setzt. Das hat aber auch viel mit dem Ort zu tun. Der Umzug vor drei Jahren, weg aus dem akademisch wirkenden Haus der Kulturen der Welt im Tiergarten und hinein in die Arena im Stadtteil Treptow, hat dem Festival gut getan: Hier, mitten in der Stadt zwar, aber direkt an der Spree, wird Berlin bisweilen zum karibischen Paradies. Die Reggae-Szene der Stadt feierte hier schon immer am liebsten, und am Ufer liegen Badeschiff und Hoppetosse, zwei schwimmende Berliner Institutionen, die vom Popdeurope ebenfalls als Konzertorte genutzt werden.

Aber am wichtigsten für ein molliges Sommergefühl bleibt natürlich die Musik. Die ist traditionell fein ausgesucht, auch bei dieser siebten Auflage: Für den Höhepunkt des Auftakts am 26. Juli soll das Massilia Sound System sorgen. Die Reggaeband aus Marseille hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen legendären Ruf in Frankreich erspielt und verbindet den jamaikanischen Offbeat in Orchesterstärke mit provencalischen Folklore-Einflüssen und dezidiert politischen Aussagen.

In den darauf folgenden Wochen wird dann ein Programm zu hören sein, das den Bogen spannt von der wiedervereinigten Hamburger HipHop-Legende Dynamite Deluxe bis zum Brendan Adams Trio aus Kapstadt, das seinen wundervoll entspannten, angejazzten Soulpop sogar bei freiem Eintritt auf dem Badeschiff vorträgt. Den Schlussakkord am 10. August übernehmen die Stereo MC's, die ihr neuestes Album Double Bouble erstmals live spielen werden.

Für den Glanzpunkt aber könnten, zumindest aus Berliner Sicht, die Ohrbooten sorgen. Die vier Lokalmatadoren begannen als Straßenmusiker, und mit ein bisschen Glück kann man sie heute noch an einer Straßenecke für Trinkgeld erleben. Dort oder auf der Bühne: Stets verknüpfen sie Roots-Reggae und Hochgeschwindigkeits-Folk vom Balkan mit Berliner Schnauze zu unverschämt guter Laune. Das Popdeurope wird ihr einziger Auftritt in ihrer Heimatstadt in diesem Jahr sein. Als Lokalhelden werden sie entsprechend empfangen werden. Und Berlin wird einen glorreichen Moment lang tatsächlich am Meer liegen.

THOMAS WINKLER

Sommerfestival in der arena Berlin, EICHENSTR. 4 VOM 26.7. bis 10.8.2008, PROGRAMMDETAILS: WWW.POPDEUROPE.DE


Alexander Marcus: Elektrolore | Schunkelnde Ruheständler im Musikantenstadl. Und halbnackte Ecstasy-User bei der Love Parade. Was haben die gemeinsam? Mehr als man denkt. Und Alexander Marcus kann es beweisen. Electrolore hat er sein erstes Album getauft, um den von ihm geschaffenen Bastard aus Folklore und elektronischen Rhythmen zu beschreiben. Der stets mit einem Schwiegermutterlächeln auftretende Marcus hat sich längst zum Internet-Phänomen entwickelt: Dort tanzt er in billig produzierten Clips robotergleich vor drallen Dorfschönheiten. Doch in seinen Texten zitiert er virtuos aus der mit ausgelutschten Klischees gefüllten Metaphernkiste des Schlagers: Besungen werden neben der "wunderschönen Loreley" auch Herzen, die gewonnen werden, und Sterne, die am Horizont leuchten. Marcus mag eine von Felix Rennefeld, einem bislang eher minder erfolgreichen Techno-DJ aus Berlin, entworfene Kunstfigur sein, aber seine Mischung aus Schlagerseligkeit und Techno-Beats wirkt in der Ausführung geradezu logisch. Hier wächst zusammen, was lange schon zusammen gehört: Die Enkel reichen der Großelterngeneration die Hände, um zusammen das Tanzbein zu schwingen.

TW

CD, KONTOR/ EDEL


Martha Wainwright: I Know You're Married But I've Got Feelings Too | Martha Wainwright, Schwester von Rufus, Tochter von Loudon III und Kate McGarrigle, Spross der genial-begabten, erfolgsverwöhnten und etwas psychotischen Musiker-Familie, legt nach. Auch auf ihrem neuen Album mäandert sie zwischen tiefgründiger Düster-Folk-Ballade, opulentem Chanson und lässigem Countrysong, um uns ahnen zu lassen: Das Dasein ist ziemlich düster, ausweglos und quälend. Doch bitte mal auf die Texte achten! Denn diese zeigen: Selbstironie ist eine ganz gute Möglichkeit, den Abgründen des Lebens zu begegnen. Außerdem vergeben wir an dieser Stelle den Spezialpreis "Bester Album-Titel des Jahres". Dieses zweite Album ist ein Freischwimmer: Selbstbewusster, opulenter und origineller noch als beim Debüt, zeigt Wain-wright hier, wie unterschiedlich ihre Mittel sind: mal im Uptempo, dann getragen, mal folkig, dann bluesig, dann countryesk, mal rockig, dann melodramatisch überspannt von einem Himmel voller Streicher. Mal bebend im Timbre, dann kühl wie ein Eiswürfel, dann so, als würde ihr Herz zerspringen. Diese Frau ist undurchschaubar - und alle lieben sie: Spektakuläre Gäste wie Pete Townshend, Garth Hudson oder auch Donald Fagen sind ebenfalls zu hören.

PESCH

CD, V2/COOPERATIVE MUSIC/UNIVERSAL