Ausgabe 06/2008-07
Hamburg will den Mindestlohn
Von Jörg-Dieter Bischke-Pergande |...das Mindeste! Demo für den Mindestlohn
Eine Kampagne startet durch
Immer noch bekommen 20 Prozent aller Arbeitnehmer/innen in Deutschland einen Niedriglohn (weniger als 9,13 Euro pro Stunde im Westen bzw. 6,81 Euro im Osten) - an den OECD-Standards gemessen. Bundesweit beziehen 1,3 Millionen Bürger eine finanzielle "Aufstockung" zusätzlich zum Lohn. 180000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst und in Bereichen wie Unterricht und Erziehung sind bundesweit wegen ihrer niedrigen Einkommen auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angewiesen.*
In Hamburg erhalten 29651 Beschäftigte zusätzlich zum Arbeitseinkommen Arbeitslosengeld II. Das sind 12000 Menschen (72,2 Prozent) mehr als im Vorjahr. 2596 Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst und den teilweise privatisierten Bereichen Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen sowie Abfallbeseitigung und Entsorgung sind in der Stadt ebenfalls auf Zusatzzahlungen des Staates angewiesen (Stand von Juli 2007).*
Die Hamburger Kampagne
Die Kampagne "Hamburg zahlt den Mindestlohn" soll diese beschämende Situation ändern. Zurzeit läuft in zahlreichen Betrieben die Bestandsaufnahme der Arbeitsbedingungen und der Lohnsituation. Zahlreiche Betriebs- und Personalräte, Mitarbeiter-, Jugend- und Auszubildendenvertretungen haben die Erklärung von ver.di Hamburg in ihren Gremien verabschiedet und beteiligen sich an der Kampagne. In der Erklärung heißt es:
"Hamburg zählt zu den reichsten Städten Europas. Wer hier arbeitet, soll vom Lohn menschenwürdig leben können. Als Gewerkschafter/innen setzen wir uns für branchenweite und allgemein gültige Tarifverträge ein. Unsere Arbeitgeber haben eine zentrale Mitverantwortung beim Erhalt und Ausbau von Flächentarifverträgen, fairen Arbeitsbedingungen und tariflicher Bezahlung von allen Beschäftigten, auch Beschäftigten von Dienstleistungsunternehmen und Leiharbeitsfirmen. Dort, wo es keine oder zu niedrige Tariflöhne gibt, brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn, der Beschäftigte vor Lohnwillkür und Dumping schützt. Niemand darf weniger als 7,50 Euro pro Stunde verdienen.
Wir wollen, dass Beschäftigte in Hamburg von ihren Löhnen menschenwürdig leben können. Wir machen uns in den Betrieben und Dienststellen, in denen wir arbeiten, dafür stark, dass unsere Tarifverträge für alle Beschäftigten eingehalten und verbessert werden. Solange kein gesetzlicher Mindestlohn besteht, setzten wir uns da, wo bestehende Tarife zu niedrig sind oder keine Tarife existieren, für einen Mindeststundenlohn von 7,50 Euro ein." **
Karstadt Wandsbek ist dabei!
Auch der Betriebsrat von Karstadt Wandsbek hat sich der Kampagne angeschlossen. Im Gespräch mit ver.di PUBLIK: die Betriebsräte Jürgen Gehring und Thies Nowacki.
ver.di PUBLIK | Was habt Ihr bisher unternommen?
Gehring | Wir haben von unserer Geschäftsleitung aussagekräftige Unterlagen über die Verträge mit allen Dienstleistern und Fremdfirmen bei uns im Haus eingefordert, einschließlich der Arbeitsverträge ihrer Beschäftigten: für die Warenvorbereitung, die Reinigung, die Sicherheit und die Detektive, aber auch für die Firmen, an die Flächen im Haus vermietet worden sind. In der Mehrzahl der Fälle haben wir die Unterlagen bekommen. Im Fall der vergebenen Flächen bestreitet die Geschäftsleitung unsere Zuständigkeit und gibt uns keine Informationen. Hier haben wir jetzt geklagt.
ver.di PUBLIK | Warum sind Euch diese Informationen so wichtig?
Nowacki | Weil die verschiedenen Beschäftigtengruppen gegeneinander ausgespielt werden und die Solidarität zwischen der Stammbelegschaft und den Beschäftigten der Fremdfirmen brüchiger wird, wie wir es bei den letzten Streiks gemerkt haben. Wir sind bei Karstadt in einem Umstrukturierungsprozess, der große Auswirkungen auf die weiter schrumpfende Stammbelegschaft hat. Immer mehr Arbeiten werden ausgelagert und an Fremdfirmen vergeben. Der Beruf Verkäufer/in wird durch diese Entwicklung richtig in die Zange genommen. Die Warenvorbereitung wird - so die Pläne bei Karstadt - am Ende komplett von Fremdfirmen übernommen, und wir befürchten, dass zuletzt auch das Kassieren abgekoppelt und nicht länger von Karstadt-Beschäftigten übernommen werden soll. Zum Schluss bleibt eine Schmalspurverkäuferin, deren Gehalt weiter gedrückt wird, da nur noch eine zweijährige Ausbildung zur Verkäuferin gebraucht wird. Auch für die Kassierer/innen befürchten wir massive Lohneinschnitte.
ver.di PUBLIK | Machen die Auslagerungen überhaupt Sinn?
Nowacki | Den Verantwortlichen in Essen scheint es egal zu sein, dass dabei der Zusammenhang zwischen den einzelnen Bestandteilen, die zum Verkaufsgeschäft gehören, zertrümmert wird, so dass keiner mehr die Abläufe überblickt. Hauptsache, es geht billiger und die erwarteten Einsparungen von geschätzten 50 Millionen im Unternehmen werden möglichst schnell realisiert. Der Wettbewerb um die billigste Lösung ist eröffnet. Die Drohung mit Fremdvergabe und Ausgliederung ist ständig präsent!
Gehring | Hinzu kommt die Strategie der "Concession Shops": Immer mehr Flächen werden an andere Firmen abgegeben. Die Beschäftigten dort arbeiten zu anderen Konditionen und teilweise ohne den Schutz von Tarifverträgen, weil ihre Arbeitgeber nicht tarifgebunden sind. Der Ausverkauf im Stammsortiment hat längst begonnen: bei Drogerieartikeln, Multimediaprodukten, Zeitschriften und Büchern, im Textilbereich. Obwohl all diese Kolleg/innen für andere Firmen arbeiten, sind sie immer noch in unsere Abläufe integriert. Deshalb bestehen wir hartnäckig darauf, dass wir die Verträge über ihre Arbeitsbedingungen zu Gesicht bekommen. Am Ende könnte es nämlich so aussehen: Von Karstadt bleibt nur die Hülle eines Warenhauses, in das die Beschäftigten von vielen verschiedenen Firmen zur Arbeit kommen, wobei der Hausherr nur noch die Miete kassiert - zugegeben, eine etwas übertriebene Horrorvision.
ver.di PUBLIK | Wie geht es weiter?
Wenn wir uns aktiv an der Kampagne für Mindestlöhne und Mindestbedingungen in der Arbeit beteiligen, kämpfen wir für unsere eigene Zukunft. Wenn wir für Mindestlöhne streiten, streiten wir gegen den Preisverfall unserer Arbeit! Wenn wir uns um die Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen und Fremdfirmen im Haus kümmern, sichern wir die Arbeitsbedingungen unserer Kolleg/innen. So einfach ist das.
*Quellen: "Jeder Fünfte erhält nur Niedriglohn", Hamburger Abendblatt vom 19./20.4.2008; Forschungsergebnisse Institut für Arbeit und Qualifikation IAQ, Universität Duisburg-Essen; "Hartz IV für Staatsdiener", Hamburger Abendblatt vom 22.3.2008; Regionalstatistik Bundesagentur für Arbeit und Arbeitsagentur Hamburg
** Die ver.di-Materialien zur Kampagne können unter 040/28581140 bestellt werden.