Annette Jensen ist Mitarbeiterin von ver.di PUBLIK

Seit Jahren drängt die Pharmaindustrie darauf, das Werbeverbot für rezeptpflichtige Medikamente zu kippen. Nun hat sich die EU-Kommission dieses Anliegen der Pillenhersteller zu Eigen gemacht. Ein fataler und folgenschwerer Vorgang, den es zu verhindern gilt.

Kaum einer Branche gelingt es besser als der Pharmaindustrie, ihre Interessen politisch durchzusetzen. Nach wie vor bestimmt allein sie, wie viel ein Medikament kostet - und die Krankenkassen zahlen. Zwar wollte die rot-grüne Bundesregierung die Kostensteigerungen durch eine Festgeldregelung dämpfen. Doch nach einem Besuch von Pharmamanagern bei Kanzler Gerhard Schröder war die Idee schnell wieder vom Tisch. Auch den Versuch, das Sponsern von Abrechnungssoftware in Arztpraxen zu verbieten, konnten die Arzneimittelhersteller durch eine völlig wirkungslose "freiwillige Selbstverpflichtung" abwenden. So verschenken sie weiterhin Computerprogramme, bei denen die eigenen Produkte stets als erste auf dem Bildschirm erscheinen - und viele Ärzte nehmen das Präsent dankbar an. Kein Wunder, dass die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente im vergangenen Jahr um 6,7 Prozent gestiegen sind, während sich die Krankenhäuser mit einem Plus von 0,6 Prozent begnügen mussten.

Jedes Jahr kommen in Deutschland Dutzende neuer Präparate auf den Markt. Fast keines ist tatsächlich eine Innovation. Meist werden nur wenige Bestandteile neu hinzugefügt, die den Patienten in der Regel keinen Vorteil bringen. Doch die Pharmaindustrie kann nun wieder ein neues Patent anmelden und damit den Preis hoch halten.

20000 Pharmareferenten besuchen regelmäßig Praxen, Apotheken und Krankenhäuser und versuchen sich dort nicht nur mit Kugelschreibern und Essenseinladungen beliebt zu machen. Viel effektiver ist die Masche, einen ganzen Stapel Probepackungen zu verschenken. Auch Krankenhausapotheken nehmen das Mitbringsel zur Entlastung ihres Budgets gern entgegen. Ist der Patient dann erst einmal auf die Arznei eingestellt, wird er von seinem Hausarzt verlangen, dass er das gleiche Mittel wieder auf den Rezeptblock schreibt. Schätzungsweise 2,5 Milliarden Euro jährlich kostet es die Pharmaindustrie, ihre Referenten ständig mit vollen Taschen loszuschicken. Doch die Strategie zahlt sich aus. Schließlich sind die reinen Herstellungskosten erstaunlich niedrig. Nur so lässt sich erklären, warum ein wirkungsgleiches Aids-Medikament hierzulande 50 Mal so teuer ist wie das Nachahmerprodukt in Indien.

Die Pharmakonzerne begründen die hohen Preise für ihre patentgeschützten Medikamente mit ihren immensen Forschungsausgaben. Mehrere unabhängige Untersuchungen kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass der größere Teil der Kosten nicht durch klinische Forschung, sondern durch Marketing verursacht wird. Für die USA liegt eine entsprechende Studie vor. Demnach gab die dortige Pharmaindustrie im Jahr 2004 über 57 Milliarden Dollar für Werbung und nur rund 31 Milliarden für die Entwicklung und Erprobung neuer Arzneien aus.

Die meisten Ärzte sind überzeugt, unabhängig zu entscheiden, was sie verschreiben. Doch es sind ja nicht allein plumpe Einladungen in Wellness-Hotels, mit denen die Pharmafirmen die Mediziner gefügig machen wollen. Entscheidender ist, ihre Informationsmedien zu dominieren. Mehrere deutsche Fachzeitschriften legen den Herstellern Texte zu deren Produkten vor der Veröffentlichung vor. Außerdem finanziert die Industrie einen Großteil der klinischen Forschung. Bringt eine Studie nicht die erwünschten Resultate, verschwindet sie in der Schublade. Die Öffentlichkeit erfährt davon nichts: Die beteiligten Ärzte müssen sich verpflichten, keine Daten ohne Zustimmung des Sponsors zu veröffentlichen.

Sehr beliebt ist es auch, die Ärzteschaft auf Fachkongressen durch Vorträge namhafter Professoren zu beeindrucken. Die bekommen für ihren Auftritt selbstverständlich ein üppiges Honorar und sind deshalb motiviert, vom Veranstalter bei Gelegenheit wieder als Referent eingeladen zu werden - was nicht ohne Einfluss auf die Inhalte bleiben dürfte.

Nun wollen die Pharmahersteller also an die chronisch Kranken selbst ran. Gelingt es, sie von einem bestimmten Medikament zu überzeugen, werden sie es nicht nur von ihrem Arzt fordern, sondern wahrscheinlich auch Leidensgenossen informieren. Solches Direktmarketing ist für die Pharmaindustrie Gold wert. Für die Krankenkassen bedeutet es dagegen erhebliche Kostensteigerungen - ohne dass die Versorgung der Patienten besser wird.

Die Pharmaindustrie gab im Jahr 2004 über 57 Milliarden Dollar für Werbung und nur rund 31 Milliarden für die Entwicklung neuer Arzneien aus