Kokainsüchtige Mitarbeiterin zweigt 1,1 Millionen Euro ab, zwei Sachbearbeiterinnen wird gekündigt

Städtische Angestellte fordern Rücknahme der Kündigung

VON MARTIN KREHL

Dortmund | Er kam noch nicht dazu: Vor lauter Arbeit hat es der Dortmunder ver.di-Sekretär Martin Steinmetz nicht geschafft, eine Bilanz zu ziehen. Gerade eben erst musste die fristlose Kündigung zweier Sachbearbeiterinnen aus der Stadtkasse von Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) und Personaldezernentin Christiane Uthemann in vollem Umfang zurückgenommen werden. Martin Steinmetz verfügt über eine lange Erfahrung mit Arbeitgebern im Öffentlichen Dienst, doch zum aktuellen Gebaren der Dortmunder Stadtspitze gegenüber den Beschäftigten findet er "eigentlich keine Worte mehr".

Was war geschehen? Im Frühjahr 2007 fiel auf, dass eine Mitarbeiterin aus Langemeyers OB-Büro binnen weniger Jahre 1,1 Millionen Euro aus dem Budget des Stadtamtes abgezweigt und davon offenbar ihre Kokainsucht bezahlt hat. Doch nicht etwa Langemeyer oder leitende Mitarbeiter des OB-Büros oder der Stadtkasse mussten nach bundesweitem Medienecho ihren Hut nehmen, sondern zwei brave, lang gediente Sachbearbeiterinnen. Die hatten die von der Betrügerin vorgelegten Belege nicht ausreichend geprüft und weisungsgemäß immer wieder in bar ausbezahlt. Ende August durften die beiden Frauen plötzlich ihren Arbeitsplatz nicht mehr betreten. Abgemahnt worden waren sie zuvor nicht.

Sofort machte sich Unmut in der 10000 Mitarbeiter/innen starken Belegschaft der Stadt breit. Und mehr als 1000 Kolleg/innen folgten am 3. September einem in aller Eile nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiteten Aufruf von ver.di zu einer "aktiven Mittagspause" auf dem Rathausplatz. OB Lagemeyer beobachtete die machtvolle Demonstration hinter zugezogenen Vorhängen seines Büros.

Martin Steinmetz sagt: "Wir von ver.di wie der Personalrat haben tagelang versucht, Langemeyer und Uthemann von dieser völlig unsinnigen Maßnahme abzubringen." Das arbeitsrechtlich offenbar völlig unkundige Duo blieb unbeeindruckt. "Beratungsresistent" ist noch der harmloseste Ausdruck, den Steinmetz für das Verhalten findet. Plötzlich wollten Langemeyer und Uthemann doch Entlastendes in dem Vorgang um die beiden geschassten Frauen gefunden haben, nahmen die fristlose zurück und legten jeweils eine außerordentliche Kündigung nach. Die inzwischen auch wieder zurückgenommen wurden. Die Frauen werden außerhalb der Stadtkasse weiterbeschäftigt, ihr Gehalt wird nachgezahlt.

In der Regel erfolgreich

"Der Riesen-Konzern Stadt Dortmund wird von einem aufgeschreckten Hühnerhaufen geführt," urteilt Steinmetz aus Erfahrung: "autoritär und autokratisch". Das Verhältnis zwischen der Stadtspitze und den 10000 Beschäftigten sei als "zerrüttet" zu bezeichnen, in den Büros und Werkstätten der Stadt seien alle aufgeregt. "Jeder fragt sich, was passiert als Nächstes? Bin ich dann dran?", sagt Steinmetz.

Ob es um Kündigungen des Personals der Kindertagesstätten geht, das permanent in Sorge um den Arbeitsplatz gehalten wird, oder um Dossiers, die Vorgesetzte über Mitarbeiter des Gesundheitsamtes angelegt haben - Steinmetz hat alle Hände voll zu tun, die Merkwürdigkeiten innerhalb der Stadt arbeitsrechtlich zu würdigen und bedrängten Kolleg/innen in der Regel erfolgreich Schutz zu gewähren.

Dass dem eigentlich erfahrenen Verwaltungsmann Langemeyer, der bis vor wenigen Tagen 2009 noch einmal kandidieren wollte, solche unglaublichen Entgleisungen passieren, ist Steinmetz unbegreiflich. Prompt schickte die eigene Partei zur Kommunalwahl nächstes Jahr mit Kulturdezernent Jörg Stüdemann einen Gegenkandidaten ins Rennen. Und nach einer Intervention der SPD-Landesvorsitzenden Hannelore Kraft, die um die Partei ausgerechnet in der sozialdemokratischen Hochburg Dortmund bangt, tritt auch noch Planungsdezernent Ullrich Sierau an.