Die Krankenhausmanager planen, dass Krankenschwestern und -pfleger künftig auch ärztliche Aufgaben übernehmen. Das spart Geld - und kann zu Lasten der Patienten gehen

VON UTA VON SCHRENK

Plötzliche Bewusstlosigkeit. Der Patient kommt in die Notaufnahme. Krankenschwester 1 legt eine Zugangsnadel in die Vene, prüft den Blutdruck. Arzt 1 diagnostiziert Herzinfarkt. Krankenschwester 1 verabreicht erste lebensrettende Medikamente. Medizinisch-technische Assistentin 1 macht ein EKG, wertet es aus. Arzt 1 sieht leichten Infarkt bestätigt. Weitere Medikamente. Servicekraft 1 fährt den Patienten auf die Normalstation. Servicekraft 2 notiert sich die Essenswünsche. Servicekraft 3 reinigt den Fußboden. Pfleger 1 entnimmt Blut. Krankenschwester 2 überprüft den Tropf. Medizinisch-technische Assistentin 2 macht ein weiteres EKG. Schwester 3 prüft den Blutdruck - und so weiter und so fort.

Noch ist es nicht so in deutschen Krankenhäusern. Doch geht es nach den Vorstellungen der deutschen Krankenhausträger, soll der Patient in Zukunft zum Stückgut eines eng getakteten, arbeitsteiligen Heilprozesses werden. "Taylorisierung" - mit diesem Instrument der Arbeitsintensivierung aus der Industrie hoffen die Klinikmanager dem wachsenden Schuldenberg ihrer Häuser beizukommen.

Die Splittung der Pflege und Heilkunde in einzelne Arbeitsschritte hat einen weiteren Vorteil aus Sicht des Managements: Einzelne ärztliche Tätigkeiten wie das Legen von Infusionen oder die Gabe von Schmerzmitteln können an Krankenschwestern oder -pfleger delegiert werden - und die ihrerseits überlassen die Hilfe beim Essen oder das Überwachen eines Krankentransports einer Servicekraft. Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Rudolf Kösters, stellte eine eigens in Auftrag gegebene Studie des Deutschen Krankenhausinstituts mit den Worten vor, "dass von einer Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten auf nichtärztliche Berufsgruppen positive Effekte auf einen effizienten Mitteleinsatz im Krankenhaus ausgehen können". An Fahrt hat die Diskussion durch entsprechende Modellvorhaben gewonnen, die die Bundesregierung mit dem Pflegeerweiterungsgesetz seit Juli möglich gemacht hat.

Ärztlicher Nachwuchs fehlt

Die DKG nennt eine ganze Reihe übertragbarer ärztlicher Leistungen - vom Verbandswechsel, Anlegen von Infusionen, Blutentnahme über das Legen von Sonden, Kathetern oder Venen-Zugängen bis hin zu Untersuchungen wie Ultraschall oder EKG. Die Studie ergab aber auch: Nur 30 Prozent des Pflegepersonals sind dazu bereit.

Gerd Dielmann, Bereichsleiter Berufspolitik für Gesundheit bei ver.di, begegnet diesen Überlegungen mit Skepsis. Zwar sei die Übertragung von ärztlichen und pflegerischen Tätigkeiten grundsätzlich "unproblematisch aus gewerkschaftlicher Sicht", wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden (siehe Kasten). Doch Dielmann fürchtet, dass "kurzsichtige ökonomische Überlegungen" das Kalkül der Klinikmanager sind - und nicht die Anpassung der Heilberufe an die moderne Medizin. In der Tat ist die finanzielle Lage der deutschen Krankenhäuser desolat: Ein Drittel der Häuser sind insolvent. Zudem: Die Kliniken haben Probleme, ärztlichen Nachwuchs zu finden. Die Arbeit auf Station ist trotz angehobener Vergütung schlicht unattraktiv - zu viele Dienste, zu viel Stress.

Warum also nicht einfach Arbeit umverteilen und dabei sparen? Die Ärzte entlasten, so dass weniger Mediziner die gleiche Arbeit leisten können - und zugleich Arbeiten an billigere Arbeitskräfte delegieren?

Dielmann zweifelt an, "dass diese neue Aufgabenteilung sinnvoll für die Qualität der Patientenversorgung ist". Je mehr Fachkräfte mit einem Patienten beschäftigt sind, umso mehr Übergaben sind nötig. Der Dokumentationsaufwand werde so enorm steigen. "Jede nicht dokumentierte Veränderung im Zustand des Patienten, und sei es Appetitlosigkeit oder mangelnde Flüssigkeitsaufnahme, kann schnell gesundheitliche Folgen haben", warnt der Gewerkschafter. Ein Beschluss des Deutschen Ärztetages formuliert es so: "Durch eine partielle Verlagerung ärztlicher Aufgaben werden auch die aktuellen Versorgungsprobleme nicht gelöst, sondern eher die Gefahr zusätzlicher Schnittstellen geschaffen."

Derzeit gültige Bedingungen für das Delegieren ärztlicher Tätigkeiten:

1. der Patient/die Patientin muss einwilligen

2. die Art des Eingriffs erfordert nicht das persönliche Handeln des Arztes

3. der Arzt ordnet die konkrete Maßnahme schriftlich an

4. die ausführende Pflegeperson ist zur Durchführung befähigt

5. der verantwortliche Arzt muss sich persönlich von der Qualifikation der Pflegekraft überzeugen und hat die Ausführung zu überwachen

6. die angewiesene Pflegeperson ist zur Ausführung der ärztlichen Tätigkeit bereit, verpflichtet ist sie nur in Notfällen

7. die Ausführung muss zumutbar sein

8. die Anordnung und Durchführung muss sorgfältig dokumentiert werden

9. die erforderlichen Qualifikationen müssen Gegenstand der Aus- bzw. Fortbildung werden

10. die Pflegeperson hat ein Verweigerungsrecht, dessen Gebrauch nicht zu Nachteilen führen darf

ver.di fordert zudem:

  • das Pflegepersonal muss für die zusätzlichen Aufgaben - soweit erforderlich - qualifiziert werden
  • der Krankenhausträger sorgt für eine haftungsrechtliche Absicherung durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung, die fahrlässige (auch mittlere/grobe) Verhaltensweisen absichert
  • die Übernahme ärztlicher Tätigkeiten muss sich entsprechend ihrem Umfang in der Personalbemessung für Pflege- und Assistenzpersonal niederschlagen
  • höherwertige Tätigkeiten sind zusätzlich zu vergüten
  • bei dauerhafter Übernahme ist eine Regelung im Berufsrecht erforderlich: Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde
  • neue Berufs- und Weiterbildungsabschlüsse sind staatlich zu regeln