Umfassende Überwachung am Arbeitsplatz schadet der Gesundheit und der Arbeitsqualität, deshalb brauchen Arbeitnehmer/innen Freiräume

Volker O. arbeitet bei einem Medienunternehmen. Einen Betriebsrat gibt es dort bisher nicht, was er mit Kollegen zusammen ändern möchte - gegen den Willen des Arbeitgebers. Auf der Arbeit wird rege kommuniziert: Berufliche und private Nachrichten tauschen die Beschäftigten über ein internes System aus, aber hier wird er vorsichtig: "Irgendwelchen Quatsch verschicken wir schon, aber speziell Sachen, die den Betriebsrat angehen, das nicht." Sie befürchten, der Arbeitgeber könnte herausfinden, was sie vorhaben. Zu Recht.

Unter Kontrolle: Häufigkeit und Dauer von Toilettengängen

Die fortgeschrittene Technik erlaubt heute eine umfassende Überwachung am Arbeitsplatz. Bewegungen von Beschäftigten im Innen- (Zutrittskontrolle, RFID-Ausweise) und im Außendienst (GPS, Handy-ortung) können verfolgt, die Kommunikation per Telefon oder E-Mail kann aufgezeichnet und ausgewertet werden, ebenso jede sonstige Nutzung des Internets. Auch früher wurden Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz überwacht. Neu ist heute die Informationsfülle. Jede Handlung kann automatisch aufgezeichnet und gespeichert werden, bis hin zur Tippgeschwindigkeit oder Häufigkeit und Dauer von Toilettengängen. So können Computer zum Beispiel Leistungsrankings oder Listen von "Risikobeschäftigten", von denen man sich besser trennen sollte, erstellen. Die Überwachung am Arbeitsplatz wird total und vernichtet Freiräume.

Überwachung macht keine Pausen, sie erfasst nicht nur die Arbeit, sondern auch das Gespräch mit den Kolleg/innen oder andere Pausenaktivitäten. Auch die Kommunikation zwischen Beschäftigten, Betriebsrat und Gewerkschaft gerät in den Blick des Arbeitgebers. Beschäftigte können selbst intime Details nicht verbergen, eine Selbstbestimmung darüber, was der Arbeitgeber von ihnen wissen darf, haben sie faktisch nicht. Mindestens von Arbeitsbeginn bis Arbeitsende gehören sie, so scheint es, mit Haut und Haar dem Arbeitgeber. Unter solchen Bedingungen leiden nicht nur Würde und Gesundheit, sondern auch die Arbeitsqualität. Beschäftigte erleben durch die lückenlose Überwachung tägliches Misstrauen. Individuelle Entscheidungen werden im Arbeitsprozess erschwert. Beides kann zu einer Zunahme von Unsicherheit und Stress führen.

Außer Kontrolle: Entspannung und Erholung in der Pause

Wie viel Kontrolle über das eigene Leben darf Arbeit ausüben? Wenn dem Arbeitgeber nicht die ganze eigene Person ausgeliefert werden soll, dann brauchen Beschäftigte Freiräume. Dazu gehören überwachungsfreie Räume und Zeiten. Ansonsten wird der Arbeitsplatz Büro zum "elektronischen Sweatshop" (Ausbeutungsbetrieb), in dem Persönlichkeit unterdrückt und immer mehr Arbeit aus den Beschäftigten gepresst wird. In Freiräumen hingegen können soziale Kontakte am Arbeitsplatz gepflegt, können berufliche oder private Gespräche mit Kollegen geführt, kann in Ruhe über nächste Arbeitsschritte nachgedacht oder können Pausen tatsächlich als solche genutzt werden: zur Entspannung und Erholung.

Vor allem sich am Arbeitsplatz zu organisieren und sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren, braucht solche Freiräume. Unabdingbar ist, dass Beschäftigte wissen, wann, durch wen und zu welchem Zweck sie überwacht werden. Der Arbeitgeber soll darüber informieren, viele Überwachungsmöglichkeiten unterliegen der Mitbestimmung. Aber auch die Beschäftigten selbst können sich informieren und ihre Aufmerksamkeit für die Folgen neuer Technik schärfen. Dabei müssen sie auch ihre Betriebs- und Personalräte in die Pflicht nehmen, Überwachung am Arbeitsplatz zu thematisieren. Allzu oft findet man unter ihnen die auch andernorts noch oft geteilte Meinung "Wir haben nichts zu verbergen."

Zu humaner Arbeit gehört der Schutz vor Überwachung. Dabei können sich Beschäftigte am Beispiel von Volker O. orientieren: Gerade die umfassende Überwachung aller Aktivitäten am Arbeitsplatz war ein Grund für den Wunsch nach einem Betriebsrat. Der künftige Betriebsrat wird deshalb auch in Zukunft das nötige Problembewusstsein für die schädlichen Wirkungen von Überwachung haben. Wer in seinem Betrieb keinen Betriebs- oder Personalrat hat, kann zunächst einmal direkt Auskunft vom Arbeitgeber über mögliche Überwachungsmaßnahmen verlangen. Weitergehende Informationen gibt es bei ver.di innotec, bei den Technologieberatungsstellen des DGB oder bei der Kampagne "Onlinerechte für Beschäftigte".

www.verdi-innotec.de

www.tbs-netz.de

www.onlinerechte-fuer-beschaeftigte.de