Ausgabe 10/2008
Wie wär's mit Umverteilung?
PETRA WELZEL ist Redakteurin bei ver.di PUBLIK
"Ich fühle mich furchtbar", ließ Richard Fuld seine 28000 Angestellten an dem Tag wissen, an dem seine Bank, die Lehman Brothers Bank, pleite war. Nicht ohne kurz vor Toresschluss noch seine eigenen drei Millionen Aktien an der Bank unter Wert für 500000 US-Dollar zu verkaufen. Immerhin. Seine Angestellten verloren ein Vermögen von insgesamt 13,7 Milliarden Dollar. Aber nicht nur ihre Wohlstandsblase ließ der Banker platzen. Seit der Lehman-Pleite ist nicht allein die Finanzwelt ins Taumeln geraten. Drei Viertel aller deutschen Unternehmen sind seit Ausbruch der globalen Finanzkrise nicht mehr in der Lage, uneingeschränkt nötige Investitionen, An- oder Verkäufe zu tätigen. Jede Bank dreht heute jeden Cent zehnmal um, bevor sie Geschäftskredite gewährt.
Und das hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Immobilienfonds wie Level One, einer der größten Investoren dieser Art in Deutschland, die nicht nur von ihren Haus- und Wohnungsverkäufen gelebt, sondern anhaltend auf Pump gewirtschaftet haben, sind bereits pleite. Auch die Pleiten von 30 Fluggesellschaften seit Jahresbeginn lassen sich nicht allein mit den gestiegenen Energiepreisen erklären. Investitionen mit geliehenem Geld hat sie Kopf und Flügel gekostet.
Doch nicht nur die Banken haben kein Geld mehr, das sie wie zuletzt die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit ihrer 300 Millionen-Euro-Zahlung an die Lehman Bank zum Fenster hinauswerfen können. Auch die Verbraucher haben nichts mehr zu verschenken. An der sinkenden Nachfrage vor allem im Einzelhandel zeichnet sich das ab. Und das alles ist erst der Beginn von dem, was die einen Wirtschaftsexperten als Stagnation bezeichnen, die anderen als Rezession. Das eine ist so schlimm wie das andere, weil es so oder so Arbeitsplätze kosten wird, wenn die Wirtschaft auf dem jetzigen Niveau verharrt oder gar einbricht. Für diejenigen, die zukünftig noch Arbeit haben werden, wird es vorbei sein mit Lohnzuwächsen, wie sie das vergangene Tarifjahr gebracht haben. Die Arbeitslosen werden eh schon kurz gehalten. Das Einzige, was weiter munter steigen wird, sind die Preise.
Nicht erst seit der Finanzkrise fordert ver.di deshalb ein 40 Milliarden Euro teures, so genanntes Zukunftsinvestitionsprogramm. Und auch nicht erst seit gestern steht unter ver.dis Lösungsvorschlägen eine Vermögenssteuer, die bei einer Höhe von vier Prozent die Milliarden für das Investitionsprogramm bei den über 800000 Millionären in Deutschland locker zweieinhalbmal in einem Jahr einspielen würde. Stattdessen werden - soviel ist abzusehen - wieder die kleine Frau und der kleine Mann bei den Steuern geschröpft werden.
Nur diese Forderungen allein werden das Grundübel der Krise nicht dauerhaft beheben. Wo Gewinnmaximierung, Produktions- und Leistungssteigerung oberstes Ziel bleiben, die USA 500 Milliarden Euro zur Rettung ihres Finanzmarktes haben, Finanzminister Steinbrück mal eben genauso viel Euro für deutsche Banken aus der Geldbörse ziehen kann, aber die gesamte Weltgemeinschaft in einem Jahr nicht mehr als 16 Milliarden Euro zur Bekämpfung des Hungers in der Welt zusammen bekommt, läuft etwas grundlegend falsch im Weltgefüge. Wo vordringlich die Rettung unserer Lebensräume, unserer Umwelt, oberstes Gebot aller Länder sein sollte, ist dieses Ziel Deutschland nicht mehr als ein paar hundert Millionen Euro im Jahr wert. Woanders sieht das nicht viel besser aus, eher schlechter.
Wie also dem Treiben Einhalt gebieten? Zwar sind die Börsen weltweit von der Finanzkrise betroffen, aber die großen Schwellenländer China und Indien sowie ganz Südostasien spüren von den Folgen kaum etwas, weil ihre Binnenwirtschaften weiterhin wachsen. Vielleicht erwischt sie die nächste Krise, weil sie wie alle anderen auch weiter nach dem Motto wirtschaften werden: immer schneller, immer mehr.
Jeder mit nur einem bisschen gesundem Menschenverstand kann sich ausrechnen, dass es so nicht weitergehen kann. Aber wie soll sich ein System ändern, in dem sich Grundschulen ihrer Rechen- und Matheolympiaden rühmen und den Kindern bereits mit dem Einmaleins das Lied The winner takes it all gesungen wird? Mögen die Säulen des Kapitalismus gehörig ins Schwanken geraten sein, noch juckt das keinen sehr, mit Ausnahme der Banker, die dabei aus ihren hoch bezahlten Jobs gefallen sind. In Deutschland soll das schon bald auch tausenden von Angestellten passieren, die noch bei der Bank mit dem grünen Band der Sympathie arbeiten. Das braucht tatsächlich niemand, aber nötig ist ein breites Band der Solidarität, in dem es etlicher Multimilliardäre bedarf wie Warren Buffet, der unlängst dagegen protestierte, dass seine Sekretärin effektiv höhere Steuersätze habe als er. Und das Wort Umverteilung müsste wieder Schule machen - von oben nach unten, versteht sich.
"Es läuft etwas grundlegend falsch im Weltgefüge"