Berufskraftfahrer in Mittelhessen diskutieren ihre Arbeitsperspektiven

Unter Einsatz des eigenen Lebens: Die Arbeit auf dem Bock

VON RENATE BASTIAN

Nachdenklich stehen die Fahrer vor den Informationstafeln mit Fotos von Lkw-Unfällen - stark zerstörte Wagen, manche kaum noch als solche erkennbar. Die Bilder sind nicht kommentiert. Sie zeigen einen Alltag, den alle Teilnehmer/innen der mittelhessischen Transportmesse in Lollar kennen. Auf der vierten Zusammenkunft dieser Art wollen sie über die gefährlichen Arbeitsbedingungen sprechen. Zugleich soll die Messe auch den Blick aus der ver.di- Region Mittelhessen hin zur Internationalen Transportarbeiter Föderation lenken, die global gegen Dumping der Arbeitsbedingungen und der Einkommen vorgeht. Die Branche ist klassisch strukturiert: Die Männer sitzen "auf dem Bock", die Frauen vor dem PC. Dementsprechend kamen am 18. Oktober 27 Männer und drei Frauen nach Lollar.

Wer in Mittelhessen Fernkraftfahrer ist, fährt auf europäischen Autobahnen. Einer von ihnen ist Hansi B., der seine Ausbildung in diesem Beruf abgeschlossen hat und ihn seit 30 Jahren ausübt. Der 48-Jährige kommt aus Eschenburg; sein rollendes "R" verweist auf das nordwestliche Hessen, Raum Dillenburg. Sein Arbeitstag beginnt zwischen zwei Uhr und sechs Uhr morgens. Meistens ist der Lkw dann schon beladen, denn es geht quer durch ganz Europa. Hessen liegt im Herzen des Durchfahrtslands Deutschland. Nach 4,5 Stunden Fahrt macht er seine erste Pause. Sie soll 45 Minuten dauern. Bereits hier beginnen sich die Probleme aufzuschichten. Die nächste Raststätte liegt direkt an der Autobahn mit all ihrer Hektik und all ihrem Lärm. Was für den Gelegenheitsreisenden praktisch ist, macht den Berufsfahrer auf Dauer krank. Denn dann geht es wieder 4,5 Stunden weiter bis zum nächsten Rastplatz. Gleiche Situation.

Wenn das Ziel irgendwo in Europa erreicht ist, stehen Hansi B. nach einer Tageslenkzeit von neun Stunden elf zusammenhängende Stunden Ruhepause zu. Dies ist eine Bezeichnung, die ausgedacht ist in der ruhigen Stube des Gesetzgebers. Dem Asphaltcowboy kann es passieren, dass der angesteuerte Parkplatz bereits überfüllt ist. Entweder sucht er weiter oder er nimmt in Kauf, dass er wieder dicht an den Fahrbahnen steht, wahrscheinlich umgeben von anderen Lkws, deren Kühlaggregate vielleicht brummen.

Was auch dazu gehört: An fünf Tagen in der Woche sieht er seine Familie nicht. Am Ende des Monats bringt er als Festgehalt 2200 Euro brutto nach Hause. Dies trifft zu, wenn sich die Arbeitgeber an Gesetz und Tarife halten. Hansi B. weiß, dass es ein scharfes Lohngefälle in Europa von West nach Ost, aber auch innerhalb Hessens gibt.

Aufwertung der Arbeit

Für ver.di ergeben sich aus dieser Situation mehrere Forderungen. Zuoberst steht, dass Ruhepausen auch Ruhe bieten müssen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass ein besserer Schutz vor Überfällen gewährleistet wird. In Linden und Hüttenberg sollen zwei neue Autohöfe entstehen, deren allgemeine Ausstattung - bauliche Gestaltung, Sanitäranlagen, Dienstleistungsangebot und Parkleitsystem - modernen Anforderungen eher entsprechen. Weiterbildung, und zwar während der Arbeitszeit, wäre eine weitere Voraussetzung für Sicherheit - was die Fahrer anbelangt, aber auch die übrigen Verkehrsteilnehmer betrifft.

Einen weiteren Schwerpunkt der Konferenz in Lollar bildeten Beiträge zu Suchtproblemen am Arbeitsplatz und Sofortmaßnahmen bei Unfällen. Der mittelhessische ver.di-Sekretär Gerhard Smentek klagte in diesem Zusammenhang eine Aufwertung der Arbeit in der Speditions- und Logistikbranche durch hochwertigen Arbeits- und Gesundheitsschutz ein. Denn nur so könnten die Beschäftigten der Branche "in einem passablen Zustand" das Rentenalter erreichen. ver.di Hessen hat sich vorgenommen, von Herbst bis zum Frühjahr 2009 auf regionalen und landesweiten Konferenzen ausführlich mit Mitgliedern die Tarifforderungen zu diskutieren. Und den Organisationsgrad zu steigern, denn viele Mitglieder sind die Voraussetzung für neue Wirklichkeiten.