ANDREAS ZUMACH ist UNO-Korrespondent in Genf

Barack Obama kann und wird angesichts der realpolitischen Zwänge in den USA und weltweit kaum eine andere Politik machen als sein Vorgänger Georg W. Bush. Diese Ansicht (oder gar Hoffnung) verbreiten seit der historischen Wahl des ersten Afroamerikaners zum US-Präsidenten nicht nur jene, die offen oder insgeheim auf den Sieg John McCains gesetzt hatten, sondern auch viele derer, die sich vor dem Wahltag an der

Verklärung Obamas zum Messias beteiligten. So unpolitisch und naiv diese Obamania war, so dumm fatalistisch und anti-aufklärerisch ist die Behauptung, der künftige US-Präsident könne unmöglich eine andere Politik machen. Sicher, Obama erbt von Bush eine gigantische Staatsverschuldung von rund 10000 Milliarden Dollar, zwei aussichtslose Kriege und großes Misstrauen gegenüber den USA in weiten Teilen der Welt. Das sind die ungünstigsten Startbedingungen für den neuen Mann im Weißen Haus, seit Franklin D. Roosevelt nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 dort einzog. Doch gerade Roosevelt bewies mit der Durchsetzung seines erfolgreichen "New Deal" unter ebenfalls widrigsten Umständen und gegen massiven Widerstand mächtiger Wirtschaftkreise, dass eine andere Politik möglich ist.

Obama sollte als erste Maßnahme gleich nach seiner Amtseinführung ein Konjunkturprogramm auflegen, das Arbeitsplätze schafft beim Ausbau regenerativer Energien und des öffentlichen Verkehrs, bei der Reparatur der maroden Infrastruktur des Landes sowie bei der ökologischen Modernisierung der Industrie. Ein solches Konjunkturprogramm könnte die Stimmung der Bevölkerung kurzfristig verbessern, es wäre aber auch mittel- und langfristig die wichtigste Investition in die Zukunft des Landes. Mit der Umsetzung der kostenträchtigen sozialpolitischen Reformversprechen (Krankenversicherung für alle Amerikaner/innen etc.) sollte Obama erst beginnen, wenn das Konjunkturprogramm Erfolge zeigt.

Wie ernst es der neue Präsident mit seinem Wahlversprechen einer multilateralen, auf Kooperation angelegten Außenpolitik meint, könnte er sehr bald mit einigen Maßnahmen beweisen, die allesamt nicht die langwierige Ausarbeitung neuer außenpolitischer Konzeptionen erfordern.

Obama könnte das Kyoto-Klimaschutz-Protokoll unterschreiben und die vorbehaltlose Teilnahme der USA an den für Herbst 2009 geplanten Verhandlungen im Rahmen der UNO über ein Kyoto-Nachfolgeabkommen ankündigen. Zweitens könnte der neue US-Präsident die Statute des Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnen und dem Senat zur zügigen Ratifizierung zuleiten. Vorstellbar ist auch, dass Obama die völkerrechtswidrige Einstufung der Guantanamo-Häftlinge als "rechtlose Kämpfer" korrigiert und ausdrücklich anerkennt, dass die Genfer Konventionen auch für sie uneingeschränkt gelten. Zudem könnte Obama einen konkreten Zeitpunkt für die Schließung Guantanamos benennen.

Mit derartigen Maßnahmen zu Beginn seiner Amtszeit würde Obama weltweit auf Beifall stoßen und die Voraussetzungen verbessern für die Bewältigung der vier größten außenpolitischen Herausforderungen, die zumindest seine erste Amtszeit bestimmen dürften: erstens der Abzug sämtlicher US-Soldaten aus Irak; zweitens ein Strategiewechsel in Afghanistan, der zu einer Beendigung des - auch nach Einsicht führender US-Militärs - gescheiterten Krieges gegen die Taliban führt; drittens die Vermeidung einer neuen Konfrontation und eines Rüstungswettlaufs mit dem wieder erstarkten Russland. Hilfreich wären hierfür der Verzicht auf die Errichtung der unsinnigen Raketenabwehranlagen in Polen und Tschechien sowie auf die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO. Am vordringlichsten ist viertens eine Kurskorrektur der amerikanischen Iran-Politik, mit der die Beilegung des Konflikts um das iranische Atomprogramm ermöglicht und ein Krieg mit Teheran verhindert wird. Obama kann dies erreichen, wenn er sich, wie im Wahlkampf mehrfach versprochen, ohne Vorbedingung mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad trifft. Und wenn er die ultimative und kontraproduktive Forderung an Teheran, die Anreicherung von Uran vollständig und dauerhaft einzustellen, aufgibt. Zu dieser Kurskorrektur raten dem neuen Präsidenten in Washington führende außenpolitische Experten aus dem liberalen wie aus dem konservativen Lager. Eine Normalisierung des Verhältnisses zu Iran würde auch die politische Bewegungsfreiheit verschaffen, um eine Friedenslösung des israelisch-palästinensischen Konflikts herbeizuführen.

Sollte Barack Obama tatsächlich den Mut aufbringen zu so viel "Change" in der Außenpolitik der USA, würde er den Interessen seines Landes weit mehr dienen als George W. Bush.

Obama könnte einen konkreten Zeitpunkt für die Schließung Guantanamos benennen