Ein echtes Märchen

Slumdog Millionär | Bei Wer wird Millionär? kann man vor allem eins gewinnen: eine Menge Geld. Jamal allerdings rät sich in der indischen Ausgabe der weltweit beliebten Spielshow nicht wegen des winkenden Reichtums bis zur 20-Millionen- Rupien-Frage. Nein, der aus ärmlichsten Verhältnissen stammende Hilfsarbeiter will so seine große Liebe wiederfinden. Doch wie konnte er, ein Junge ohne jede Bildung aus den Slums von Bombay, all die Fragen wissen, an denen selbst Professoren scheitern?

In geschickt montierten Rückblenden erzählt der britische Regisseur Danny Boyle die Geschichte eines modernen Simplicissimus: Mit dem etwas einfältig, aber immer aufmerksam durch sein Leben taumelnden Jamal werfen wir einen Blick auf ein Indien im rapiden Wandel. Ein Land, in dem erbärmliche Armut und verschwenderischer Luxus dicht nebeneinander existieren, in dem die Gewalt regiert und ein Menschenleben nicht viel wert ist. Ein Indien voller Vitalität, zerrissen zwischen althergebrachter Tradition und rasender Moderne. Boyle nutzt in seiner Reminiszenz an das Hindi-Kino alle Möglichkeiten, die ihm dieses Tableau bietet - und wechselt in fast schon hysterischer Schnittfolge zwischen Gangsta-Thriller und sozialem Realismus, Burleske und Tragödie. Dort allerdings, zwischen allen Genres, verliert sich der Film bisweilen in einer Beliebigkeit, die auch vor einer Ästhetisierung des Elends nicht zurückschreckt. Diese visuelle Kraft aber beförderte Slumdog Millionär zum großen Award-Abräumer: Mit acht Oscars, drei British Independent Film Awards und vier Golden Globes wurde ausgezeichnet, wie der Film Bollywood-Märchen und soziales Gewissen miteinander zu versöhnen versucht.

In Indien allerdings ist der Film umstritten. Amitabh Bachchan, einer der größten Stars des Landes und mit einem Kurzauftritt als er selbst in Slumdog Millionär gewürdigt, kritisierte den Film; Hindi-Aktivisten demolierten aus Protest Kinos; zwei Sozialarbeiter versuchten gar per Klage eine Titeländerung des Films durchzusetzen. Der zentrale Kritikpunkt: Slumdog Millionär bestätige westliche Vorurteile über Indien und konzentriere sich allein auf die Schattenseiten des aufstrebenden Milliardenlandes. Allerdings: Dass diese Schattenseiten, vom Leben im Slum bis zur allgegenwärtigen Polizeibrutalität, weitgehend korrekt dargestellt sind, wird ebenfalls kaum bestritten. So beweist Slumdog Millionär: Auch ein Märchen kann von der Wirklichkeit erzählen.

Thomas Winkler

GB/USA 2008; R.: Danny Boyle, D.: DEV PATEL, ANIL KAPOOR, IRRFAN KHAN, MADHUR MITTAL, FREIDA PINTO; L.: 120 Min., Kinostart: 19.3.2009


Hilde | Was gibt es an diesem Film eigentlich auszusetzen? Heike Makatsch ist hier so grandios wie Julia Jentsch als Sophie Scholl. Sie spielt nicht Hildegard Knef, sie ist sie mit Leib und Seele, sieht ihr zum Verwechseln ähnlich, imitiert ihre Stimme nahezu perfekt. Sogar bei den Liedern kommt man ins Grübeln: Singt nun die Knef oder ihr Double? Das funktioniert auch deshalb so gut, weil der Film nicht das Leben seines Stars bis ins hohe Alter nachzeichnet, sondern im Zenit der Karriere endet: 1966 mit dem legendären Konzert in der Berliner Philharmonie. Von da aus zeichnet Kai Wessel in Rückblenden ein atemloses Künstlerleben nach, das mit vielen Erfolgen und ebenso vielen Misserfolgen einer Achterbahnfahrt gleicht. Besonders packend das Auf und Ab in den Berliner Nachkriegsjahren, in denen Hilde in Die Mörder sind unter uns zum Leinwandstar reüssiert, dann als skandalöseSünderin in Ungnade fällt. Wer sie denn eigentlich wirklich sei, wird der erfolgreiche Filmproduzent Erich Pommer sie nach einem ersten gescheiterten Anlauf in Hollywood fragen. Von wegen Wessels Film gebe darauf keine Antwort: Hilde-Heike imponiert mit ihrem burschikosen Auftreten, Schlagfertigkeit, Berliner Schnauze und ihrem mutigen, späten Durchbruch als Sängerin. Sicher, sie hat auch manche falsche Entscheidungen getroffen, aber wer, bitteschön, hat das nicht?

KL

D 2009, R: Kai Wessel, D: Heike Makatsch, Dan Stevens, Monica Bleibtreu, Hanns Zischler, u.a., L.:136 Min., Kinostart: 12.3.2009