Die Impfwilligkeit der Deutschen lässt zu wünschen übrig - dies hat auch Folgen für die Arbeitswelt. Gerade Beschäftigte in Bereichen mit viel Publikumsverkehr, in der Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung oder der Müllbeseitigung sind besonders gefährdet

Wenn Betriebsarzt Michael Antlauf-Lammers impfmüde Mitarbeiter aufrütteln will, dann erzählt er ihnen, wie sich zwei alte Damen beim Rosenschneiden eine Tetanus-Infektion geholt haben. "Da genügt schon eine Bagatellverletzung." Antlauf-Lammers, Arbeitsmediziner der Hansestadt Hamburg, impft als Betriebsarzt bei der Hamburger Stadtreinigung etwa 350 bis 400 Mitarbeiter pro Jahr - von insgesamt 2500. "Ich muss da schon ganz schön hinterher sein", sagt er. Dabei ist der Arbeitsbereich Müllentsorgung nicht ohne, was die Infektionsgefahr anbelangt. Das Betriebsmotto der Stadtreinigung - "Wir sind für jeden Dreck zu haben" - macht es deutlich: Die tägliche Keimbelastung der Belegschaft ist hoch. Und, sagt Lammers: "Natürlich ist für einen Müllwerker das Verletzungs- risiko höher als für einen Finanzbe- amten."

Nicht impfen kann für den Arbeitgeber teuer werden

Die Arbeitgeber sind nach der Biostoffverordnung verpflichtet, ihren Beschäftigten Schutzimpfungen kostenlos anzubieten, wenn sie bei ihrer Arbeit "biologischen Arbeitsstoffen", also Krankheitserregern ausgesetzt sein können. Und sie dürften auch ein Interesse an gut geimpften Mitarbeitern haben: Bei der Hamburger Stadtreinigung wird jeder Fehltag mit 500 Euro anfallenden Kosten, um den erkrankten Mitarbeiter zu ersetzen, kalkuliert. Da kann eine Grippe, die im Schnitt etwa zehn Tage dauert, schon teuer werden. Allerdings: Ob der Arbeitnehmer sich impfen lässt, entscheidet er selbst. Die Folge: Die Impfquoten gerade älterer Arbeitnehmer lassen zu wünschen übrig. "Die Impfmüdigkeit in der Bevölkerung ist generell leider sehr hoch, das schlägt sich natürlich auch in der Arbeitswelt nieder", sagt Axel Harwerth, Arbeitsmediziner und Wissenschaftlicher Leiter des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW).

Eine Untersuchung zum Impfschutz von Berufstätigen im Jahre 2003 in Schleswig-Holstein dokumentiert sehr gut diesen Trend, den das Bundesgesundheitsministerium seit längerem beklagt. Nach dieser Studie sind gegen Diphterie lediglich 57,5 Prozent und gegen Tetanus 66,1 Prozent Arbeitnehmer/innen vollständig geschützt. Zudem zeigte die Untersuchung, dass die Impfquote mit dem Alter erheblich abnimmt. Während Kinder und Jugendliche unter 20 Jahre zum Beispiel zu 80 Prozent gegen Diphterie geschützt sind, nimmt der komplette Impfschutz mit den Jahren ab - für Erwachsene über 60 Jahre liegt die Quote noch gerade einmal bei 37 Prozent. Ähnlich ist es bei der im Gesundheitsdienst notwendigen Impfung gegen Hepatitis B: Hier ist die Altersgruppe 30 bis 39 Jahre mit 84 Prozent am besten geschützt - in der Gruppe der über 60-Jährigen ließen sich nur noch 67 Prozent komplett impfen.

"Impfungen sind in den letzten Jahren, insbesondere in Westdeutschland - in Ostdeutschland ist das Impfbewusstsein noch höher - sträflich vernachlässigt worden, da die Infektionsrate in Deutschland drastisch zurückgegangen ist und nicht mehr als reale Bedrohung wahrgenommen wird", sagt Horst Riesenberg-Mordeja, bei ver.di zuständig für Arbeits- und Gesundheitsschutz. Und so breiten sich einige Infektionskrankheiten in Deutschland wieder aus. Vor allem die Verbreitung von Masern sei Besorgnis erregend, sagt der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Jörg Hacker. Die Zahl der Masern-Erkrankungen hat sich von 2005 auf 2006 verdreifacht.

ver.di fordert Betriebsvereinbarungen

Während bei den Beschäftigten im Gesundheitssektor gute Impfquoten erreicht werden, wie Harwerth vom VDBW bestätigt, sind die Rückmeldungen der Betriebsärzte in anderen Bereichen nicht so überzeugend. "Gerade Betriebsärzte in Bereichen wie Müllbeseitigung und Erziehung fordern wir auf, besonderes Augenmerk auf notwendige Impfungen zu legen", sagt Harwerth. Arbeitsschützer Riesenberg-Mordeja fordert eine Regelung in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, um mehr Beschäftigte zum Impfen zu bewegen. "Dies kann auch Thema der betrieblichen Gesundheitsförderung sein", sagt er.

Rüdiger Schöneich von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sieht jedoch auch eine Gesetzeslücke: Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge sieht längst nicht für jede empfohlene Impfung ein Impfangebot vor. Lediglich für die im Rahmen der so genannten Pflichtuntersuchung festgestellten Infektionsgefährdungen muss der Arbeitgeber eine Impfung anbieten. "Dort liegt ein Defizit", sagt Schöneich, "man sollte nicht zum einen eine Infektionsgefährdung feststellen und dann die effektivste Prophylaxe, nämlich die Impfung, dem Arbeitnehmer nicht anbieten." So kommt zustande, dass die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (STIKO) mehr Impfungen - etwa zum Schutz Dritter - empfiehlt, als nach der arbeitsmedizinischen Verordnung erstattungsfähig sind.

Betriebsarzt Antlauf-Lammers lädt die Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung alle drei Jahre zur Vorsorgeuntersuchung. Dabei geht es vor allem um die Folgen der Lärmbelastung am Arbeitsplatz, aber auch um den Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen und Hauterkrankungen. "Das Impfbuch prüfe ich dann gleich mit", sagt der Mediziner.

Quelle: Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge.