Ausgabe 04/2009
Export
Die Exportorientierung Deutschlands erweist sich in der Krise als große Schwäche
Weltmeister sein ist kein Gewinn
Wirtschaftswissenschaftler und Bankexperten überbieten sich in negativen Prognosen: Sinkt das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland dieses Jahr um drei, fünf oder gar sieben Prozent? Permanent korrigieren sie ihre düsteren Vorhersagen nach unten. Und selbst die günstigsten Werte spiegeln eine völlig unbekannte Situation: Im Jahr 1975 sank in der alten Bundesrepublik die Wirtschaftsleistung nach der Ölkrise gerade einmal um 0,9 Prozent.
Es sind vor allem die einbrechenden Exporte, die die deutsche Wirtschaft in den Abgrund reißen. Im Februar wurden 23,1 Prozent weniger Waren ins Ausland verkauft als vor einem Jahr, im Januar waren es fast 21 Prozent und im Dezember lag der Wert bei 7,9 Prozent. Noch im Herbst hatten viele Betriebe Optimismus signalisiert: Die Fabriken waren gut ausgelastet. Doch seit November geht es mit atemberaubender Geschwindigkeit abwärts. Wann die Talsohle erreicht sein wird, lässt sich nicht sagen. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat schon vor längerem für einen Prognosestopp plädiert, weil die Vorhersagen "systematisch zu positiv" ausfallen würden.
Deutsche Politiker waren stets stolz auf den Titel Exportweltmeister und haben diese Position nach Kräften gefördert. In mehreren Jahren beruhte das gesamte deutsche Wirtschaftswachstum auf dem Verkauf ins Ausland. Möglich wurde der Ausfuhrboom auch dadurch, dass die Löhne nur sehr langsam stiegen. Das rächt sich jetzt, wo der Absatz auf dem Weltmarkt einbricht: Die Beschäftigten haben nicht genug Geld, um die Wirtschaft durch Konsum in Schwung zu halten. Zwar ist das auch bei anderen EU-Mitgliedern so. Doch selbst in krisengebeutelten Ländern wie Großbritannien oder Spanien schrumpft die Wirtschaftsleistung aufgrund der geringeren Exportabhängigkeit weniger als in Deutschland. "Unser Land hat sich den Risiken der Weltwirtschaft unnötig stark ausgesetzt", urteilt der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn.
Hinzu kommt, dass die Löhne im stärker binnenmarktorientierten Dienstleistungsbereich hierzulande etwa 20 Prozent niedriger liegen als in der Industrie. In keinem anderen europäischen Land ist dieser Abstand so groß wie bei uns. Das führt dazu, dass sich der wegbrechende Export nun doppelt fatal auf den Absatz auswirkt.
Klar ist deshalb, dass Deutschland nicht nur in der aktuellen Krise ein Problem hat, sondern dass sich etwas Grundsätzliches an der Wirtschaftsstruktur ändern muss. Viele Kunden auf dem Weltmarkt werden künftig sparen müssen: Schon deshalb kann es solch enorme Exportüberschüsse wie bisher nicht mehr geben. Um Arbeitsplätze und Wohlstand zu erhalten, muss der Binnenmarkt gestärkt werden. Dazu gehören vor allem Vor-Ort-Dienstleistungen wie zum Beispiel Bildung und Pflege. Doch die Bundesregierung versucht, den notwendigen Strukturwandel aufzuhalten. Mit Instrumenten wie der Abwrackprämie unterstützt sie die exportorientierte Industrie. Das wird auf Dauer nicht gelingen. Selbst die konservativen Ökonomen vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sind überzeugt: Die Bedeutung der Industrie für die deutsche Wirtschaft wird weiter sinken.
Annette Jensen