Nach über einem Jahr Rückzug will der Berliner Senat nun endlich ein nachhaltiges Auftrags- und Vergabegesetz beschließen. Die Gewerkschaften begrüßen es - Kritik inbegriffen

Spatenstich: Der Großflughafen Berlin wird noch ohne Vergabegesetz ausgebaut

VON PETRA WELZEL

BERLIN | Die Geschichte für das geplante Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz ist lang und hat Regale gefüllt. Und das nicht erst seit letztem Frühjahr, als es - gerade in Kraft getreten - zurückgezogen wurde. Kernpunkte seinerzeit waren eine allgemeine Tariftreueregelung für alle Branchen und ein Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde bei öffentlichen Auftragsvergaben. Doch als im April 2008 der Europäische Gerichtshof im so genannten Rüffert-Urteil ein Vergabegesetz aus Niedersachsen verworfen hatte, wollte man in Berlin dem Beil der Richter entgehen, erklärte das Gesetz für unanwendbar und arbeitet seither an einem neuen.

Noch vor der Sommerpause will nun der rot-rote Senat einen neuen Entwurf beschließen. Ein derzeit noch verwaltungsinternes Entwurfspapier geht in einigen Punkten - ausdrücklich begrüßt von den Gewerkschaften - über den ersten hinaus, bleibt aber an anderen Stellen hinter dem Gesetz vom März 2008 zurück. In jedem Fall müssen an einem öffentlichen Auftrag interessierte Unternehmen einen Mindestlohn von 7,50 Euro zahlen. Diejenigen, die einen Auftrag erhalten, sollen sich schon im Bieterverfahren verpflichten, die wichtigsten von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aufgestellten Standards einzuhalten. Bei der Auftragsvergabe sollen zudem Betriebe bevorzugt werden, die auch ausbilden. Es gibt Vorgaben zur Gleichstellung von Frauen und Männern und unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zum umweltgerechten Einkauf.

Die Beschäftigten sind die besten Kontrolleure

Dennoch gibt es an dem Entwurf noch Nachbesserungsbedarf seitens der Gewerkschaften. Eine Tariftreueklausel für Branchen, die mehr als den Mindestlohn zahlen, ist nicht mehr vorgesehen. Tarifverträge in Branchen, die nicht ins Entsendegesetz aufgenommen wurden, sind bis auf den Öffentlichen Personennahverkehr nicht mehr berücksichtigt. In einer Stellungnahme des DGB Berlin-Brandenburg bemängelt dessen stellvertretende Vorsitzende, Doro Zinke, dass im Paragraph zur Lohnuntergrenze von 7,50 Euro unterm Stichpunkt Anpassung die steigenden Lebenshaltungskosten perspektivisch nicht berücksichtigt seien. "Es wäre hilfreich", sagt sie, "wenn nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die sozialen Verhältnisse eine Rolle spielten." Für stark verbesserungswürdig hält Doro Zinke die Kriterien für die Kontrollen und Nachweispflichten der beauftragten Unternehmen. Kontrollen müssten obligatorisch sein, der öffentliche Auftraggeber sich verpflichten zu kontrollieren.

Vor allem aber fordern die Gewerkschaften ein individuelles Klagerecht für die Arbeitnehmer/innen. Gerade die Einhaltung der Regelungen zur Tariftreue könne besonders wirksam durch die betroffenen Beschäftigten selbst kontrolliert werden. "Unseres Erachtens ist es wichtig", sagt Astrid Westhoff, stellvertretende Landesbezirksleiterin von ver.di Berlin-Brandenburg, "analog zum Entsendegesetz den Arbeitnehmer/innen auch im Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz ein individuelles Klagerecht auf den besseren Lohn einzuräumen."

Berlin könnte Vorreiter werden

Es gibt weitere kleine Mängel am Entwurf. Zu allen soll sich nun der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf, Die Linke, äußern. Bis zum Redaktionsschluss war aus seinem Büro keine Stellungnahme zu bekommen. Astrid Westhoff, die für ver.di am Thema Vergabegesetz arbeitet, sagt: "Seit Jahren hat ver.di dafür gestritten, dass der Staat durch öffentliche Vergabe von Aufträgen nicht selbst zum Lohndrücker wird. Und wer steuerfinanzierte Aufträge bekommen möchte, muss sich auch gefallen lassen, dass Gemeinwohlinteressen zu beachten sind."

Vielleicht muss nun gar nicht mehr lange gestritten werden. Im günstigsten Fall könnte das Gesetz noch vor der Bundestagswahl in Kraft treten. Berlin wäre dann das erste Bundesland mit einer gesetzlichen Lohnuntergrenze von 7,50 Euro bei öffentlichen Aufträgen. Heiko Glawe, beim DGB Berlin-Brandenburg für Wirtschafts- und Strukturpolitik zuständig, hält das für realistisch. Auch Änderungen seien noch möglich: "Der Entwurf setzt politisch die richtigen Signale, hat aber Mängel im Detail. Je mehr von unseren Anregungen übernommen werden, desto besser."

Hilfreich wird dabei sein, dass es in anderen Bundesländern bereits zu einigen Punkten Regelungen gibt, die die Gewerkschaften unterstützen. Und beim unmittelbaren Nachbarn Brandenburg liegt dem Landtag inzwischen auch ein Entwurf zu einem Mindestlohngesetz mit Vergaberichtlinien vor. Bleibt die Frage, ob Berlin mit seinem nachhaltigen Vergabegesetz Nachzügler oder Vorbild wird.