Daumen rauf, Daumen runter: Bei Kreditbedarf spielen die Hausbanken Katz und Maus mit den Unternehmensleitungen

HENRIK MÜLLER ist stellv. Chefredakteur von ver.di PUBLIK Fotos: Ver.di; Koßmann (2); Maichel Dutta

Die Halbgötter der freien Marktwirtschaft mit ihrem kapitalistischen Finanzsystem, die die ganze Welt in die Krise gestürzt haben, gehen deshalb nicht etwa schuldbewusst im Büßergewand. Ihre Macht ist keineswegs gebrochen. Im Gegenteil: Sie sind schon wieder obenauf und machen nicht nur "weiter so", sie schwingen sich nun erst recht zu absoluten Beherrschern des Wirtschaftslebens auf. Sie entscheiden zunehmend über Sein und Nichtsein von ganzen Industrien und Dienstleistungsbranchen. Jüngste Beispiele: Arcandor mit Quelle und Karstadt und Europas Tiefdruckereien im Allgemeinen und der Schlott-Konzern im Speziellen. Daumen rauf, Daumen runter: Vor dem Hintergrund hohen Kreditbedarfs spielen die Herren von den Hausbanken Katz und Maus mit den Unternehmensleitungen - möglicherweise unter kumpelhaftem Augenzwinkern, wenn es sonst keiner sieht.

Den Kapitaleignern der betroffenen Konzerne und Unternehmen ist dabei von ihren privat gebunkerten Millionen und Milliarden so leicht nichts abzuringen, um Finanzlöcher zu stopfen - eben weil sie nicht existenziell darauf angewiesen sind, dass "ihr" Laden weiterläuft. Die Piëchs, Porsches, Schickedanzens und Schaefflers können sich wie die Eigentümer der allermeisten anderen Konzerne und Unternehmen zurücklehnen und vom "privat" Angehäuften genüsslich zehren. Das reicht sogar für die Nachkommen. Von wegen "Wohl der Allgemeinheit", dem der Gebrauch von Eigentum laut deutscher Verfassung "zugleich" dienen soll. Vermeintlich erpressbar sind dagegen die abhängig Beschäftigten und auch kleine Mittelständler, die zur Sicherung ihres Lebensunterhalts fast nichts haben außer ihrer Arbeitskraft und denen - nach Arbeitslosengeld I und dem Verbrauch von Abfindung und Gespartem - die Niederungen von Hartz IV drohen, weil ihre Unternehmen nicht die Kredite kriegen, die sie brauchen, damit der Laden läuft. Weil die Hausbanken der Unternehmen nicht machen, was sie sollen, nämlich die Realwirtschaft mit günstigen, bezahlbaren Krediten versorgen.

Sie machen stattdessen, was sie wollen: so weitermachen wie bisher, nämlich irrsinnige Renditen von 25 Prozent an aufwärts anpeilen, die keine Volkswirtschaft dieser Welt erarbeiten kann. Und weil, wie dargelegt, den großen Kapitaleignern so leicht nichts aus den privaten Taschen zu ziehen ist, halten sie sich eben schadlos an den abhängig Beschäftigten, bei denen immer noch was geht, wie sie glauben: Sie drängen die Unternehmensleitungen, "Kosten zu senken", koste es, was es wolle. Die Banken glauben, sie könnten verlangen, dass hier ein paar hundert Jobs vernichtet und dort - Tarifanspruch hin oder her - Löhne oder Lohnbestandteile gekürzt oder gestrichen werden. Da wird getrickst, getarnt, getäuscht und gepokert, bis der Arzt kommen muss.

Dessen Rolle sollen dann die Betriebsräte und die jeweils zuständige Gewerkschaft übernehmen, an die die Unternehmensleitungen den erpresserischen Druck weitergeben. Die Interessenvertretungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden genötigt, zähneknirschend Nachteile für die Beschäftigten zu akzeptieren, um zu retten, was zu retten ist, um das Allerschlimmste abzuwenden. Soziale Marktwirtschaft? Lächerlich. Tarifautonomie? Was schert's die Herrschaften in den Chefetagen der Banken.

Das alles kommt davon, wenn der Staat den Banken unvorstellbare Summen für einen so genannten Rettungsschirm zur Verfügung stellt, ohne den Instituten strikt aufzuerlegen, wofür sie das Geld gefälligst auszugeben haben: nämlich für Kredite, damit im Interesse der Menschen die Fabriken wieder laufen, der Handel funktioniert und die Dienstleistungen finanzierbar sind - und nicht, um sich selber erneut die Taschen zu füllen. Diese Erkenntnis scheint Teilen der Bundesregierung dem Vernehmen nach Anfang Juli gedämmert zu sein. Steinbrück droht mit bisher "nicht gekannten" Zwangsmaßnahmen, wenn es mit den Krediten nicht bald flutscht.

Bis dahin – wie bisher und in Zukunft – sind die Beschäftigten, die Betriebsräte und ihre Gewerkschaften immer noch am besten gefahren, wenn sie entschlossen und geschlossen, mutig und klug ihre Positionen verteidigen. Schmerzhaft genug, dass beim Tiefdruckkonzern Schlott 150 Kolleginnen und Kollegen gehen müssen. Aber es konnten dort doch auch viele Jobs und Tarifansprüche mittelfristig gesichert werden. Weil die Beschäftigten kampfbereit waren und sind. Mittelbar ist es gar gelungen, in der Folge zwei weitere große Tiefdruck-Unternehmen durch Streik beziehungsweise Streikdrohung wieder in die Tarifbindung zu bugsieren.

Soziale Marktwirtschaft? Lächerlich. Tarifautonomie? Was schert's die Herrschaften in den Chefetagen der Banken