Vor der Wahl macht man Steuerversprechen, nach der Wahl werden die Regelsätze gedrückt

MARIA KNIESBURGES ist Chefredakteurin der ver.di PUBLIK

So manches Mal möchte man mit der Faust auf den Tisch hauen und einfach "Schluss jetzt!" rufen. Und das lauter, immer lauter. Und öfter, immer öfter. Denn es ist offenkundig, dass die Krise tatsächlich "als Chance" genutzt werden soll, wie die Kanzlerin sagt - nämlich um nochmals ordentlich abzugreifen.

Jetzt hat einer unserer Spitzenkandidaten wieder kräftig nach unten getreten. Um 30 Prozent will der Berliner Spitzenkandidat der FDP zur Bundestagswahl, Martin Lindner, die Hartz-IV-Regelsätze kürzen und die Alg-II-Empfänger zu "bezahlter, gemeinnütziger Arbeit" verpflichten. Was der Mann unter "bezahlt" versteht, kann man wohl ahnen. Hatte doch sein Parteifreund Henner Schmidt, FDP-Vize von Berlin-Mitte, erst vor kurzem vorgeschlagen, Hartz-IV-Empfänger sollten Ratten fangen, statt nur die leeren Pfandflaschen aus dem Wohlstandsmüll zu fischen. Einen Euro Entgelt pro erlegtem Tier befand der Mann für angemessen.

Wohin die Reise gehen soll, ist klar: Sozialleistungen senken und die Zahl der Billiglöhner und 1-Euro-Jobber in die gigantischen Höhen treiben, wo für einen entschlossenen Neoliberalisten die Marktfreiheit erst so richtig beginnt. Was der Berliner FDP-Spitzenkandidat da in schöner Offenheit ins Wahlvolk sendet, beschreibt nichts anderes als ein Kernziel seiner Partei und anderer Marktradikaler, die Seit an Seit gegen den gesetzlichen Mindestlohn kämpfen und für die grenzenlose Markt- und Unternehmensfreiheit.

Nur etwas zu früh hat der nassforsche Lindner es gesagt. Und deswegen hat FDP-Generalsekretär Niebel auch gleich dementiert: Eine Hartz-IV-Kürzung sei nicht beabsichtigt. Schließlich ist vor der Wahl nicht nach der Wahl. Und vor der Wahl macht man Steuerversprechen. Basta. Das ist nichts Neues, sondern ein altbekanntes, ärgerliches Ritual. Aber mitten in der verheerenden Krise bekommt es eine neue Dimension der gnadenlosen Unverfrorenheit. Wir machen weiter wie gehabt, ist das Signal. Dumping nach unten, damit es oben für die Spielschulden reicht.