Stefan Jagel ist im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen für die Altenpflegeeinrichtungen zuständig

Am 21. September 2009 findet der bundesweite Aktionstag der Altenpflege statt. ver.di fordert ein Sofortprogramm: mehr Personal, bessere Bezahlung, faire Arbeitszeiten und nachhaltige Ausbildung im Bereich der Altenpflege. Auf Grund der demographischen Entwicklung nimmt die Zahl älterer Menschen zu. An Pflegepersonal aber herrscht heute schon Mangel. ver.di PUBLIK sprach mit Stefan Jagel über die Situation in Münchner Altenpflegeeinrichtungen.

ver.di PUBLIK | Pflegeexperten sprechen von immer größeren Problemen bei der Versorgung in Altenpflegeheimen. Stehen wir kurz vor einem Pflegenotstand? STEFAN JAGEL | Wir sind da schon längst mittendrin! In München können die Arbeitgeber seit Anfang 2009 ihren Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal nicht mehr decken. Die Arbeitsagentur gab im Juli bekannt, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Altenpflege auf dem ersten Platz rangiert.

ver.di PUBLIK | Welche Maßnahmen ergreifen die Arbeitgeber in der Altenpflege, um den Pflegenotstand zu beheben? JAGEL | Da zeigen sich die Arbeitgeber sehr erfinderisch. Das geht los bei "Kopfgeldprämien" für "Mitarbeiter werben Mitarbeiter" von bis zu 1000 Euro. Sie bezahlen freiwillige Zulagen und versuchen über Imagekampagnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus EU-Ländern zu rekrutieren.

ver.di PUBLIK | Wie bewertest du diese Maßnahmen? JAGEL | Bevor die Arbeitgeber mit "Kopfgeldprämien" und freiwilligen Zulagen agieren, sollten sie lieber vernünftige Tarifverträge abschließen. Nur etwa 30 Prozent der Altenpflegeeinrichtungen in München sind derzeit tarifgebunden. Es ist einer unserer Schwerpunkte, neue Tarifverträge durchzusetzen. Dort, wo wir in Tarifbindung sind, muss sich eine Arbeitskampfkultur etablieren, damit Beschäftigte ihre Interessen erfolgreich durchsetzen können.

ver.di PUBLIK | Wie sieht es mit der Arbeitsbelastung der Beschäftigten in der Altenpflege aus? JAGEL | Viele – gerade die, die schon länger im Beruf sind – sind am Ende ihrer Belastungsfähigkeit. Hohe Krankheitsquoten sind die Folge. Der Arbeitsdruck lastet damit auf noch weniger Personal. Erst neulich berichtete mir ein Pfleger, dass er mit 25 Schwerstpflegebedürftigen allein im Frühdienst gewesen sei. Eigentlich müssten drei Menschen diese Pflegebedürftigen betreuen – die beiden anderen waren ausgefallen.

ver.di PUBLIK | Was kann ein Beschäftigter in einer solchen Situation tun? JAGEL | Die Beschäftigten sollten unbedingt Überlastungsanzeigen schreiben und bei der Heimaufsicht anrufen. Damit sichern sie sich selbst ab - und das Organisationsverschulden der Arbeitgeber wird mehr und mehr sichtbar

ver.di PUBLIK | Was kann neben der Einstellung von mehr Personal für die Beschäftigten getan werden? JAGEL | Noch viel zu tun ist im Bereich Gesundheitsschutz. Viele Beschäftigte haben Rückenleiden. Allerdings sind auch psychische Erkrankungen keine Seltenheit. Da müssen, ebenso wie bei den Sozial- und Erziehungsberufen, tarifpolitische Zeichen gesetzt werden.