Anneliese Knop ist eine "coole Oma". Weil sich im nordöstlichen Zipfel Deutschlands immer wieder Rechtsextreme versammeln, hat sie das Netzwerk "Neubrandenburg bleibt bunt" gegründet

Anneliese Knop, geboren am 24. November 1937 in Dramburg/Pommern, seit 1963 wohnhaft in Neubrandenburg, gewerkschaftlich aktiv bereits in der DDR, nach deren Zusammenbruch Mitglied im Gewerkschaftsrat der Gewerkschaft HBV. 2001 direkt an der Vorbereitung und Gründung von ver.di beteiligt. Bis 2006 Vorsitzende des ver.di-Bezirksfrauenrats, Mitglied im Bezirksvorstand Neubrandenburg.

VON INKEN PETERSEN

Bestimmt werden sie gleich Luftsprünge machen im Rathaus von Neubrandenburg: Das "Marktplatzcenter", das große innerstädtische Einkaufszentrum, wird Austragungsort der Aktionstage "Neubrandenburg zeigt Gesicht". Kostenfrei will der Center-Manager den Mistreitern von "Neubrandenburg bleibt bunt", einem Netzwerk gegen Rechtsextremismus, an zwei Tagen im kommenden Januar mitten im Einkaufszentrum Standflächen, Tische, Stühle, Bühne und Strom zur Verfügung stellen. Wer als ehrenamtliche Organisation eine nennenswerte Öffentlichkeit außerhalb der eigenen Sympathisantenszene erreichen will, für den kann es kaum besser laufen. Anneliese Knop, 72 Jahre, graue kurze Haare, dynamischer Blick hinter runder Brille, schaut erwartungsvoll in die Runde. Doch im Rathaus von Neubrandenburg ist die Stimmung unter den Vertretern von Vereinen, Schulen, Verbänden, Parteien und Gewerkschaften eher verhalten. Knop, die Anfang der 90er Jahre "Neubrandenburg bleibt bunt" mitgegründet hat, moderiert hier an einem Novembernachmittag die Mitgliederdiskussion um die Aktionstage, das große Vorhaben dieses Winters 2009/2010.

Die meisten engagieren sich ehrenamtlich in dem Netzwerk, ihre Erfahrungen mit Großveranstaltungen sind begrenzt. Werden sie der Herausforderung gewachsen sein - inhaltlich, personell, organisatorisch? Da schaltet Anneliese Knop sich ein, Angst vor der eigenen Courage, das gilt bei ihr nicht. Flott skizziert sie "die Chance", die das Netzwerk nicht vertun dürfe: "Unser großes Ziel ist es, Jugendliche zu erreichen", mahnt sie. Wo solle das ungezwungener gehen als in einem Einkaufszentrum? Anneliese Knop mag eine betagte Dame sein, ihr Draht zur Jugend der Stadt ist exzellent. Wann immer im nordöstlichsten Zipfel Deutschlands Rechtsextreme sich versammeln, geht auch Anneliese Knop auf die Straße, in der ersten Reihe der Gegendemonstranten, möglichst nah bei ihren fünf Enkelsöhnen, die sie als "coole Oma" verehren: Weil sie mit ihren 72 Jahren furchtlos vorneweg läuft, immer dann schlichtend zur Stelle ist, wenn Situationen aus dem Ruder zu laufen drohen. "Mich anzugreifen, das traut sich keiner", sagt sie und kichert, "eine wie ich steht unter Naturschutz." Sie weiß, dass sie eine Ausnahme ist. In ihrem Alter, in den neuen Ländern. "Als das hier losging mit den rechten Demonstrationen Anfang der 90er, da war ich schockiert über diese Intoleranz, diese Demokratiefeindlichkeit", erzählt sie. "Ich kriegte solche Angst, dass ich einfach etwas tun musste". Außerdem sei sie "familiär vorbelastet": die Mutter, Else Seedorf, war Kommunistin und im Widerstand gegen die Nazis aktiv. "So etwas prägt." Ihr Hang zur Einmischung ist keineswegs neu: Anneliese Knop, Jahrgang 1937, aufgewachsen in Waren an der Müritz als zweites von drei Kindern einer alleinerziehenden Mutter, braucht schon als junges Mädchen keine DDR-Staatspropaganda, um zu wissen, dass ökonomisch unabhängige Frauen besser leben. Sie lernt Industriekauffrau, wird Verkaufsstellenleiterin der Konsumgenossenschaft Neubrandenburg, später wechselt sie in die Personalabteilung. Und eckt an mit ihrer Kritik an marxistisch-leninistischen Schulungen ("zu blöd") sowie ihren Bemerkungen, etwa: "Unsere Frauen sind emanzipiert, aber unsere Vorstände sind Männer." 1958 heiratet sie, die Ungläubige, provokativ in der Kirche. Begründung: "Ich lass‘ mir doch keine sozialistische Hochzeit vorschreiben." In die SED tritt sie trotzdem ein. Für sie kein Widerspruch: "Eine bessere und gerechtere Gesellschaft, ich habe bis zum Schluss dran geglaubt." Ihr SED-Mitgliedsbuch, Nummer 0.381.437, hütet sie noch 20 Jahre nach Ende der DDR wie einen Schatz. "Ich bin nie ausgetreten, ich habe nur aufgehört, Beiträge zu zahlen." Sie legt Wert auf diesen Unterschied.

Die Zerreißprobe

Mit 36 Jahren wird Anneliese Knop Witwe. Ihr Mann stirbt auf dem Weg zur Arbeit an einem Herzinfarkt, er hinterlässt drei Kinder, das jüngste ist zehn Monate alt. "Kann ich nicht, gibt es nicht, das ist seither mein Slogan", sagt sie knapp. Als ihr 1980 der Vorsitz der Betriebsgewerkschaftsleitung angeboten wird, nimmt sie an. "Auch", räumt sie ein, "weil ich dadurch mehr Geld hatte." Wie soll sie auch ahnen, dass dieser Job sie Jahre später vor die Zerreißprobe ihres Lebens stellen wird?

Das Ende der DDR erwischt sie kalt. Anneliese Knop glaubt bis zum Schluss an die gerechtere Gesellschaft und daran, dass Frauen auf eigenen Beinen stehen können, wenn sie nur wollen. Und nun kommt ihr, kaum dass Deutschland wiedervereinigt ist, als Betriebsratsvorsitzende die schlimme Aufgabe zu: 10 000 Konsum-Beschäftigten, fast ausschließlich Frauen, beizubringen, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Sich etwas anderes suchen müssen. Oder am besten direkt in Rente gehen. 10 000 Menschen. Man braucht Mut für so etwas. "Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Panik", sagt Anneliese Knop. Vor dem finanziellen Ruin. Vor der beruflichen Perspektivlosigkeit. Und vor der persönlichen Höchststrafe: lebenslängliches Nichtstun. Ihr selbst geht es ja keinen Deut besser als den Kolleginnen: Vorruhestand mit 53 Jahren. Die Bezüge des Arbeitsamts reichen kaum zum Leben, nicht einmal zusammen mit ihrer bescheidenen Witwenrente. "Aber das Schlimmste war", sagt Anneliese Knop, "nicht mehr gebraucht zu werden". Erst über die West-Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) findet sie "raus aus dem Loch". Die HBV braucht Anneliese Knop - als Verbindungsfrau zu den Tausenden entlassenen Konsum-Frauen im Osten, um deren Mitgliedschaft sie wirbt. Sie wird Mitglied des Gewerkschaftsrats, des höchsten Gremiums. Zusammen mit Gewerkschafterinnen aus dem Westen entdeckt sie das Land, das die DDR war, neu. Knüpft neue Kontakte, reaktiviert alte. Gründet, getreu ihrem Motto "Kann ich nicht, gibt's nicht", den Frauenpolitischen Tisch Neubrandenburg. Hilfe zur Selbsthilfe. Als kurze Zeit später junge Glatzköpfe beginnen, die Stadt zu verunsichern, da weiß sie, wo sie Mitstreiter findet, die ihr Bedürfnis nach Zivilcourage teilen: "Neubrandenburg bleibt bunt", bis heute.

"Mich anzugreifen, das traut sich keiner.Eine wie ich steht unter Naturschutz"