Viele Deutsche glauben nicht mehr an den Sinn privater Altersvorsorge. Notwendig ist sie dennoch, sagt Hermann-Josef Tenhagen

Hermann-Josef Tenhagen ist Chefredakteur von Finanztest

ver.di PUBLIK | Die jüngste Postbank-Studie zur Altersvorsorge sieht auf Deutschland eine langfristige und schwerwiegende Krise zukommen. 42 Prozent der Deutschen, die noch keine Rente beziehen, halten ihre Altersvorsorge für nicht ausreichend, jeder Dritte fragt sich, ob eine private Vorsorge angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise überhaupt noch Sinn macht. Brauchen wir die private Altersvorsorge oder ist doch eher der Staat wieder gefragt, Vorsorge zu betreiben?

HERMANN-JOSEF TENHAGEN | Der Staat hat schon bisher die Vorsorge nicht betrieben. Die Vorsorge haben im Kern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber betrieben. Die haben in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt und dafür gesorgt, dass die, die in Rente gehen, einen gewissen Rentenanspruch haben. Zusätzlich haben wir seit knapp 10 Jahren eine vom Staat geförderte private Altersvorsorge, die Riester-Rente, weil der Gesetzgeber die künftigen Ansprüche aus der gesetzlichen Rente gekürzt und dann festgestellt hat, dass das, was dann aus der gesetzlichen Rente rauskommt, nicht ausreicht. Aber das Problem, ob die Rente im Alter ausreicht, ist kein neues und auch keines, was zentral mit der privaten Altersvorsorge zu tun hat. Wenn man im klassischen gesetzlichen System 40 Jahre als Friseurin in Thüringen bei unter fünf Euro Stundenlohn Beiträge bezahlt, dann kommt man auf eine Rente von gut 300 Euro, obwohl man 40 Jahre geklebt hat. Die zusätzliche private Altersvorsorge ist vor allem geschaffen worden, um denen eine auskömmliche Rente zu sichern, die durch die Reformen der vergangenen 20 Jahre sonst keine mehr gehabt hätten. An der Stelle ist die private zusätzliche Vorsorge eine gute Idee.

Allerdings hilft die zusätzliche private Altersvorsorge gegen Altersarmut nur sehr begrenzt. Erstens, weil zumindest der geförderte Teil dieser Altersvorsorge relativ kleinteilig angelegt ist, man nicht so viel einzahlen kann, um ohne gesetzliche Rente auszukommen. Zweitens hat man in dem Augenblick, in dem man in die gesetzliche Rente nichts mehr einzahlen kann, weil man nicht viel verdient, auch kein Geld übrig, um in die private einzuzahlen. Das jetzige Rentensystem hilft dagegen nicht. Eine andere Frage ist, nützt die private Altersvorsorge, um jenseits von Altersarmut die Chance zu verbessern, mal im Winter nach Mallorca zu fahren oder Croissants statt Schrippen zu essen? Das tut sie sehr wohl. Und das tut sie auch besser als die vor 2000 existierenden Systeme, die für den Kunden wesentlich schlechter waren als das, was wir jetzt bei Riester haben

ver.di PUBLIK | Eben diese Riester-Rente steht immer wieder in der Kritik. Wie gut, wie schlecht ist sie tatsächlich?

TENHAGEN | Jeder Riestervertrag ist normalerweise besser als das, was man ohne staatliche Förderung als Vertrag zur zusätzlichen Altersvorsorge irgendwo bekommen kann. Doch zwischen unterschiedlichen Riesterverträgen gibt es auch große Unterschiede. Es gibt richtig gute Verträge und es gibt richtig lausige Verträge, bei denen tatsächlich Versicherer, Fondsgesellschaften und auch Banken Beutelschneiderei betreiben.

ver.di PUBLIK | Wie kann man denn die schlechten von den guten Verträgen unterscheiden?

TENHAGEN | Indem man bei Finanztest nachliest, das ist die einfachste Variante. Wenn man sich tatsächlich selbst die Arbeit machen will, gibt es für Versicherungen einen relativ einfachen Maßstab. Man geht zu drei, vier oder fünf Versicherern, die man für gut hält, sagt denen, ich zahle jetzt so jedes Jahr 2 100 Euro bei dir ein, wie viel Rente garantierst du mir? Dann geht man zum nächsten Versicherer, also zwei Türen weiter, und erzählt dem auch, ich zahle bis 65 ein, jedes Jahr 2 100 Euro, wie viel Rente garantierst du mir? Wenn man dann die beiden Garantien vergleicht, dann weiß man, welcher von den beiden besonders teuer ist. Und welcher preiswerter ist, ist erst mal tendenziell der bessere. Das muss aber nicht sein, weil manch Versicherer wirtschaftet mit dem Geld einfach effektiver. Das gilt bei Versicherungen. Bei Banksparplänen gilt als Maßgabe im Grunde das Gleiche und auch bei Fondssparplänen. Der Vergleich ist dort mit unserem Rüstzeug bei Finanztest möglich, für den Kunden kaum noch.

ver.di PUBLIK | Wie lässt sich erklären, dass nach einer Erhebung von Union Investment, dem größten Anbieter von Riester-Verträgen, knapp ein Drittel der Riester-Sparer ihre staatliche Förderung verschenken, indem sie keinen Zulagenantrag stellen. Sind die alle falsch beraten?

TENHAGEN | Die sind offenbar gar nicht beraten. Eigentlich muss der Anbieter genau so wie beim Wüstenrot-Tag, also wie bei der Frage, kriege ich meine Zulage zum Bausparen, dem Kunden solange auf den Wecker gehen, bis der diesen Antrag stellt. Da haben wir ein Problem auf dem deutschen Markt. Insbesondere auf dem Versicherungsmarkt haben wir zu viele Leute, die diese Verträge schnell an irgendwelche Kunden verticken und sich dann nachher nicht mehr um die Kunden kümmern. Wenn ein Kunde nicht so gewandt ist, was diesen Papierkrieg angeht, macht der vielleicht nichts. Man müsste ihm aber auf die Sprünge helfen, damit er diesen Zulagenantrag stellt. Jeder Zulagenantrag, der nicht gestellt wird, ist ein Armutszeugnis für die Finanzdienstleister in diesem Land.

ver.di PUBLIK | Kann man sagen, dass man bei der Bank seines Vertrauens davon ausgehen kann, dass man richtig beraten wird?

TENHAGEN | Nein, kann man nicht. Möglicherweise haben die Mitarbeiter das besser im Griff mit dem Zulagenantrag bei der Bank des Vertrauens, das kann schon sein. Aber wenn das Produkt schlecht ist oder teuer, dann verliere ich vielleicht mit dem Produkt mehr, als ich mit dem Zulagenantrag gewinne.

ver.di PUBLIK | Die genannte Postbank-Studie hat trotz aller Abneigung gegenüber privater Altersvorsorge auch ergeben, dass immerhin 63 Prozent der Bürger das Eigenheim als ideale Form der Altersvorsorge betrachten. Ist die Immobilie tatsächlich die beste Bank im Alter?

TENHAGEN | Nein, sie ist es nicht, und zwar aus dem einfachen Grund, weil man die Immobilien nicht Stein für Stein wieder abtragen kann. Dann hat man das Problem, man ist 68 und hat das schöne Eigenheim, das nette Häuschen, hat aber nur eine geringe Rente. Dann geht die Dachrinne kaputt, die Heizung muss erneuert werden, und dann fehlt es monatlich vorne und hinten. Das ist ein echtes Problem. Als Altersvorsorge ist das Eigenheim nur dann ein guter Baustein, wenn ich auch eine entsprechend ordentliche Rente habe, um es unterhalten zu können.

ver.di PUBLIK | Kurzarbeit, wachsender Niedriglohnsektor, Minijobs - immer mehr Menschen haben immer weniger Geld zur Verfügung. Gerade sie, überwiegend Frauen, sind von Altersarmut bedroht. Was können sie für ihre Altersvorsorge tun, wenn Geld knapp ist?

TENHAGEN | Eigentlich sind wir da bei der Hauptaufgabe der Gewerkschaften. So wie das System bisher gestrickt ist, ist das Elementare, dass man für Tariflöhne sorgt, die dafür sorgen, dass in die gesetzliche Rente ordentlich was eingezahlt wird, und dass Möglichkeiten bleiben, privat vorzusorgen. Solange das nicht so ist, kann man den Leuten nur empfehlen, gerade wenn sie jünger sind, zum Beispiel Riester mitzunehmen. Das kann man dann auch mit fünf Euro im Monat machen. Wenn man später hoffentlich dann doch mal halbwegs vernünftig Geld verdient, dann sorgt das dafür, dass man im Alter ein bisschen sorgenloser sein kann. Wenn man dennoch nicht viel Geld hat im Alter, dann nicht wegen dieser Altersvorsorge, sondern deswegen, weil die Löhne nicht ausgereicht haben.

INTERVIEW: Petra Welzel

Als Altersvorsorge ist das Eigenheim nur dann ein guter Baustein,wenn ich auch eine ordentliche Rente habe, um es unterhalten zu können