Ausgabe 11/2009
Klassische Klientelpolitik
Schmerzhaft wird es für Versicherte, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter Schwarz-Gelb ausgerechnet in Sachen Gesundheit. Union und FDP planen eine radikale Gesundheitsreform ab 2011. So sollen Arbeitnehmer/innen künftig unabhängig von ihrem Einkommen mit Kopfpauschalen Kostensteigerungen allein tragen. Der Arbeit- geberbeitrag wird eingefroren. Eine Regierungskommission soll die Einzelheiten ausarbeiten.
In der Koalitionsvereinbarung steht nur soviel: "Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden." Herbert Weisbrod-Frey, Bereichsleiter Gesundheitspolitik bei ver.di, übersetzt das so: "Wer die Kopfpauschale nicht zahlen kann, muss als Bittsteller zum Sozialamt." Erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 werde die Regierungskommission "ihre Giftliste", so ver.di, präsentieren.
Fest steht indes: Die Regierungskoalition will den gerade erst eingeführten krankheitsbezogenen Risikostrukturausgleich der Krankenkassen, kurz "Morbi-RSA", schleifen. "Damit befeuern Union und FDP den Wettbewerb der Kassen um junge, gesunde und gut verdienende Versicherte", sagt Weisbrod-Frey. Die Folge: Die großen Versorgerkassen wie die AOK, DAK oder Barmer werden für ihr Versichertenprofil mit vielen chronisch Kranken abgestraft.
Patienten zahlen mehr
"Die Koalition betreibt klassische Klientelpolitik", sagt Weisbrod-Frey. Dazu gehören auch ein weitgehender Schutz für Apotheker, eingeschränkte Zulassung von Medizinischen Versorgungszentren, leichtere Wechselmöglichkeiten von Beschäftigten mit mittleren und hohen Arbeitseinkünften zur privaten Krankenversicherung sowie Ausweitung der Kostenerstattung für Ärzte. "Für die Patienten bedeutet gerade die Ausweitung der Kostenerstattung weitere Zuzahlungen", warnt Weisbrod-Frey. In diese Richtung geht auch die Absicht, auf "Mehrkostenregelungen" bei besonderen ärztlichen Leistungen zu setzen. "Dies ist nichts anderes als eine Verfestigung der Zwei-Klassenmedizin", sagt Weisbrod-Frey. Finanziell weniger potente Versicherte sind an die Leistungen aus dem Kassenkatalog gebunden. Wer es sich leisten kann, erkauft sich eine teurere Versorgung. Steigende Zusatzkosten für die Kranken seien programmiert.
Die Pflegeversicherung wollen Union und FDP nicht über die Anhebung der Beiträge und damit das bestehende Umlageverfahren sanieren, sondern durch eine ergänzende Kapitaldeckung, die "verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet werden muss", wie es in der Koalitionsvereinbarung heißt. Auch hier sieht ver.di eine einseitige Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der versicherten Rentner. Sie müssen allein für verbesserte Leistungen und hohe Kosten aufkommen.
"Insgesamt zielt die neue Bundes- regierung nicht auf Umbau und Verbesserung des Solidarprinzips in der Gesundheitsversorgung, sondern auf dessen Abbau", sagt Weisbrod-Frey. Übrigens gegen den ausgesprochenen Willen der Bevölkerungsmehrheit, wie aktuelle Umfragen zeigen. Uta von Schrenk
Über die Gesundheits- und Pflegepolitik der schwarz-gelben Koalition diskutieren ver.di-Mitglieder unter https://mitgliedernetz.verdi.de