Ausgabe 04/2010
Alles verloren am Hindukusch
ANDREAS ZUMACH ist internationaler Korrespondent in Genf
Die Bundesregierung instrumentalisiert und missbraucht den Tod der drei deutschen Fallschirmjäger am Karfreitag in Kundus, um in der Bevölkerung Unterstützung für den längst gescheiterten Krieg in Afghanistan zu mobilisieren. "Der Tod der drei Soldaten wäre sinnlos, wenn wir jetzt abziehen", erklärte der Staatssekretär im Militärministerium, Thomas Kossendey, CDU. Mit derartigen Durchhalteparolen wurde noch in fast jedem Krieg der Vergangenheit für ein Weitermachen getrommelt.
Bei der Trauerfeier für die drei Soldaten vereinnahmte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem anmaßenden, ja totalitären Satz "Deutschland verneigt sich vor ihnen" alle 82 Millionen Menschen unseres Landes.
Doch Tatsache ist: Niemand stirbt einen sinnvollen Tod im Krieg. Und Trauer, wäre sie ehrlich und nicht nur Mittel der psychologischen Propaganda für die Fortsetzung des Krieges, müsste allen sinnlos gestorbenen Menschen gelten: afghanischen Zivilisten und Soldaten, deutschen und anderen ausländischen Soldaten sowie zivilen Aufbauhelfern, und auch den Taliban und anderen getöteten "Feinden".
Seit dem "schwarzen Karfreitag" überbieten sich Militärs und "Sicherheitspolitiker" mit Forderungen nach verstärkter Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehrtruppen in Afghanistan. Diese Forderungen offenbaren eine geradezu erschreckende Ahnungslosigkeit und Unkenntnis. Sowohl hinsichtlich der spezifischen Konfliktbedingungen in Afghanistan als auch mit Blick auf die Kriegsgeschichte seit 1945. Den Vogel der Idiotie schoss der neue "Wehrbeauftragte" des Bundestages, Hellmut Königshaus, FDP, ab mit seiner Forderung, die deutschen Soldaten mit Leopard-2-Panzern auszurüsten, weil sich die Taliban "durch den Blick in das Kanonenrohr eines Leopard-2" sicher einschüchtern ließen. Aber auch Ex-General Klaus Reinhardt, der in den 90er Jahren mehrere Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen von UNO und NATO in Somalia und Ex-Jugoslawien kommandierte, schürt mit seinen öffentlichen Forderungen nach verbesserter Ausrüstung der deutschen Truppen die Illusion, ein militärischer Sieg am Hindukusch wäre möglich. Eine gefährliche Illusion.
Denn Deutschland und seine NATO-Verbündeten führen in Afghanistan einen asymmetrischen Krieg gegen Aufständische, Widerstandskämpfer gegen ausländische Besatzer, Terroristen - oder wie immer man die Gegner bezeichnen mag. So wie die Sowjetunion in den 80er Jahren oder zuvor die USA in Vietnam und Frankreich in Algerien. Und bei allen spezifischen Unterschieden zwischen diesen und anderen asymmetrischen Kriegen der Zeit seit 1945: Sie alle endeten mit der Niederlage der angeblich überlegenen Militärmacht. In den meisten Fällen verließen ihre Soldaten im Chaos und unter hohen Verlusten das Land.
Auch die NATO-Truppen können in Afghanistan keinen militärischen Sieg erringen. Im besten Fall können sie noch einen einigermaßen geordneten Rückzug unter Gesichtswahrung erreichen und unter Zurücklassung eines vorübergehend oberflächlich befriedeten Landes. Dieses im Vergleich zu den ursprünglichen Begründungen für die Afghanistan-Mission erheblich reduzierte Ziel strebt US-Präsident Barack Obama bis Ende 2011 an, rechtzeitig vor seinem Wahlkampf für eine zweite Amtszeit im Weißen Haus. Doch auch dieses abgespeckte Ziel ist nur erreichbar, wenn die NATO den Krieg jetzt deeskaliert, ihn dann mit einem offiziell erklärten Waffenstillstand beendet und den Abzug ihrer Truppen ankündigt. Sollte die NATO den Krieg aber, wie derzeit noch geplant, in den kommenden Monaten mit neuen Militäroffensiven weiter verschärfen, wird es noch viel mehr "schwarze Tage" für die Bundeswehrtruppen geben und auf allen Seiten noch viel mehr sinnlos getötete und verwundete Menschen.
Parallel zur Beendigung des Krieges müssten die an der Afghanistan-Mission beteiligten Länder endlich eine wirksame und glaubwürdige Strategie zur Überwindung der Drogenökonomie entwickeln. Die macht derzeit knapp 50 Prozent des afghanischen Bruttosozialproduktes aus. Mit den Profiten aus der Drogenwirtschaft werden die Regierungen und Verwaltungen in Kabul und den Provinzen des Landes korrumpiert. Und alle Akteure, die kein Interesse an einer Befriedung Afghanistans haben, können sich mit den Gewinnen aus dem Drogengeschäft nach Belieben Waffen und Munition kaufen sowie Söldner und Selbstmordattentäter finanzieren. Unter dieser Bedingung wäre auch nach einem Abzug aller ausländischen Truppen in Afghanistan kaum eine positive Entwicklung möglich.
"Niemand stirbt einen sinnvollen Tod im Krieg."