Arbeitsrechtler Friedrich Kühn

"In Teilen nicht verfassungskonform." So bewertet der renommierte Arbeitsrechtler Friedrich Kühn das Niedersächsische Gesetz über Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten. Der Leipziger Jurist hatte im Auftrag des ver.di-Landesbezirks Niedersachsen-Bremen Teile des im März 2007 erlassenen Regelwerks unter die Lupe genommen. Zum Maßstab seiner Expertise nahm Kühn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2009, das den Kirchen in Berlin-Brandenburg Recht gab. Danach stellen sonntägliche Ladenöffnungszeiten einen Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Sonn- und Feiertagsruhe dar, der nur in engen Grenzen zu rechtfertigen sei. ver.di publik sprach mit Friedrich Kühn.

ver.di PUBLIK | Welche Passagen des niedersächsischen Gesetzes verstoßen aus Ihrer Sicht gegen die Verfassung?

FRIEDRICH KÜHN | In Niedersachsen liegt die Zuständigkeit für Sonderöffnungen auf kommunaler Ebene: Bei den Ausnahmen soll die genehmigende Behörde auf Antrag der Ladenöffnung an bis zu vier beziehungsweise acht Sonntagen im Jahr zustimmen. Es sind aber keinerlei Gründe für eine Zustimmung oder Versagung definiert. Das Bundesverfassungsgericht sagt aber, dass ein "ausreichender Sachgrund" vorliegen muss. Das Gesetz ist also an diesem Punkt nicht verfassungskonform.

ver.di PUBLIK | Gibt es weitere Punkte, die aus Ihrer Sicht zu beanstanden sind?

KÜHN | In Kur-, Erholungs-, Ausflugs- und Wallfahrtsorten sieht Paragraph 4 zwischen dem 15. Dezember und dem 31. Oktober sogar 46 verkaufsoffene Sonntage vor. 2008 wurden übrigens von den Industrie- und Handelskammern Fragebögen an 259 Orte oder Ortsteile versandt, um das Ausmaß einmal aufzuzeigen. In diesen Orten darf acht Stunden lang Kleinbedarf wie Bäckereiwaren, Zeitungen, Blumen, Lebens- und Genussmittel, Tonträger, Filme, Bekleidungsartikel, Schmuck, Devotionalien oder Souvenirs verkauft werden. Auch in diesem Fall existiert kein ausreichender Sachgrund, um eine solch ausgedehnte Regelung zu rechtfertigen.

ver.di PUBLIK | Was heißt das konkret?

KÜHN | Nach dem Bundesverfassungsgericht rechtfertigt weder das alltägliche Einkaufsinteresse von Kunden, noch das wirtschaftliche Interesse von Händlern eine Ausnahmeregelung. Und überspitzt gesagt: Es fallen ja nicht Millionen Menschen in Orte ein und sind von Hunger bedroht, wenn die Läden am Sonntag geschlossen wären.