Rush-Hour im Schulsekretariat. Anne Wieland mit Kundinnen

VON Jürgen Dehnert

Gymnasium am Römerkastel in Alzey. Der erste Schultag nach den Ferien. Im Sekretariat können die vollen Postkisten erst einmal nur aus dem Augenwinkel angepeilt werden, denn die ersten "Kunden" stehen auf der Matte. Schülerinnen und Schüler wollen Antragsformulare mitnehmen oder abgeben, fragen nach Schülerausweisen, Bescheinigungen oder Terminen. Manche möchten einfach nur "Guten Tag" sagen. Die Installateure sind auch endlich da und wollen wissen, wo es denn leckt. Und die neuen Referendare, die sich noch nicht auskennen und an die Hand genommen werden müssen. All das wird von der Telefonklingel untermalt. Eltern wollen mit Lehrern oder der Schulleitung sprechen. Thema Versetzung. Ach ja, die blauen Briefe müssen ja auch diese Woche raus. Um 8 Uhr verschwinden zumindest die Schüler für zwei mal 45 Minuten in den Unterricht. Postkisten, jetzt seid ihr dran.

Die neuen Schulmanager

Anne Wieland ist seit 25 Jahren Schulsekretärin. Wenn sie den Arbeitsalltag der 80er-Jahre in ein Wort fassen soll, fallen ihr spontan "Karteikarte" und "Schreibmaschine" ein. Eine übersichtliche und nahezu geruhsame Welt im Verhältnis zur Gegenwart. Für die kommen ihr "Vielfalt" und "Druck" in den Sinn. Die Arbeit macht ihr und ihren beiden Kolleginnen Spaß. Sie sind Managerinnen und Beraterinnen für alle Schul- und Schülerangelegenheiten. Sie meistern die vielfältigen Anforderungen eines Großbetriebes. Ihre Übersicht und ihr Organisationstalent werden von allen Kunden gleichermaßen geschätzt und genutzt, vom Schüler über den Lehrkörper bis zur Schulleitung. Das Berufsbild und die Anforderungen an Schulsekretär/innen haben sich dramatisch verändert, während die Arbeitsbedingungen der Entwicklung hinterherhinken. Personalstärke, Stundenausstattung und Bewertung bei der Eingruppierung sind noch wie im Jahr 1992, also aus einer alten Welt ohne die Reform-Modelle der letzten 20 Jahre wie Realschule Plus, integrierte Gesamtschule, wie das G8 Gymnasium, die Förderschule und berufliches Gymnasium.

Arbeit mit Rattenschwanz

Dazu kommt die neue Lernmittelfreiheit. Sie stellt sich grade jetzt, zwischen Oster- und Sommerferien 2010, als Quantensprung bei der Arbeitsbelastung heraus, ohne dass die zuständigen Städte und Landkreise für Entlastung gesorgt hätten. Das von der Landesregierung eingerichtete Internetportal arbeitet gut, sagt Anne Wieland. Allerdings deckt es nur einen kleinen Teil der Zusatzarbeit ab. Es bleibt das Überprüfen der Schülerdateien im Portal, das Eintragen von Schülerdaten für die Neuen, das Eintragen der 2. und 3. Fremdsprache und der Wahlpflichtfächer, das Verteilen von Anträgen für die Befreiung von den Leihgebühren und Hilfe bei der Antragsstellung. Falsche oder fehlende Angaben führen zur Lieferung falscher Bücher mit einem Rattenschwanz an Umtausch und Rückgabe. Nicht abgeholte Schulbuchpakete müssen nach den Ferien in der Schule weitergeben werden, ziehen Schüler weg oder kommen neue hinzu, müssen Bücher eingesammelt oder neu beschafft werden.

Jetzt aber ran!

Anne Wieland und ihre Kolleginnen haben noch Glück. Sie sind nicht allein dem Ansturm ausgeliefert, wie viele Kolleginnen in kleineren Schulen. Insgesamt ist es ein Problem, dass sie alle über das ganze Land verstreut sind und als Beschäftigte der Gemeinden an Schulen, für die ja das Land zuständig ist, in einer Art Niemandsland arbeiten. Auch innerhalb von ver.di haben sie eher einen Randgruppenstatus, weil ihre Probleme sehr speziell sind und sich schwer im Tarifvertrag Öffentlicher Dienst berücksichtigen lassen. Anne Wieland und ihre Kolleginnen geben aber nicht auf. ver.di Rheinland-Pfalz haben sie schon mal bewegt: Die Bürgermeister und Landräte wurden geweckt, um die Arbeitsstundenbemessung der Schulsekretariatskräfte neu zu bestimmen und die Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern. Aber auch das Land Rheinland-Pfalz steht in der Pflicht. Wenn die Landkreise und Gemeinden nicht ausreichend unterstützt werden, sind nicht nur Gesundheit und Arbeitskraft der Schulsekretärinnen gefährdet, sondern auch die Akzeptanz und der Erfolg der Lernmittelfreiheit.