Ausgabe 06/2010-07
Unter der „Guidotine“
Unter der "Guidotine"
VON Tina Scholze
Der Münchner Medien-Fachbereich erfand für die Stuttgarter Demo ein neues Tätigkeitswort für "sich wehren"
Die Solidarität unter dem Fallbeil
Bis zur Sommerpause soll Gesundheitsminister Philipp Rösler, FDP, seine umstrittene Gesundheitsreform inklusive Kopfpauschale überarbeiten und einen neuen Vorschlag präsentieren. Doch noch ist die Kopfpauschale nicht vom Tisch. Und klar ist, dass die schwarz-gelbe Regierung einen Systemwechsel im Gesundheitswesen herbeiführen will. Und auch wenn Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, CSU, derzeit gegen die Einführung einer Kopfpauschale wettert, bedeutet das noch lange nicht, dass er die Versicherten entlasten will.
Ganz im Gegenteil: Der Vorschlag der CSU schaut so aus, dass künftig bei jedem Arztbesuch die Praxisgebühr fällig werden soll. Fünf Euro pro Besuch statt zehn Euro im Quartal. Und auch das ohne einen sozialen Ausgleich. Stellen Sie sich also vor, Sie sind Diabetiker oder haben eine andere chronische Erkrankung. Können Sie es sich da leisten, so oft wie nötig zum Arzt zu gehen? Erkrankte Menschen müssten sich Arztbesuche "sparen". Die Folge wäre, dass kleinere Krankheiten sich zu größeren auswachsen und damit zu Mehrkosten. Besonders Rentnerinnen und Rentner wären davon betroffen.
Sozialstaat auf dem Schafott
Am 9. Juni haben die ver.di-Senioren in München protestiert. Mit einer "Guidotine", die sie vor dem Hofbräukeller aufgebaut hatten. Auf ihr wurden symbolisch drei Säulen unseres Sozialstaates geköpft: Gerechtigkeit, Menschenwürde und Solidarität. Anschaulich landeten sie - wie bei der jetzigen Regierung von Union und FDP - auf dem Schafott.
"Wir dürfen den Arbeitgebern und der Rentenversicherung nicht zusätzliche Kosten aufbürden", hatte Johannes Singhammer von der CSU gesagt. Und Horst Seehofer, der Ministerpräsident: "Es wird keine Steuermittel für den Solidarausgleich geben." Wer aber soll für das Defizit von elf Milliarden Euro der Krankenkassen aufkommen? Die Arbeitgeber sollen nicht belastet werden; Steuererhöhungen für Besserverdienende sind laut CSU auch ausgeschlossen. Da bleiben wohl nur noch die Versicherten übrig.
Schon heute zahlen wir 7,9 Prozent, die Arbeitgeber seit 2005 dagegen nur sieben Prozent (vom Bruttomonatseinkommen). Diese sieben Prozent will die Regierung festschreiben. Das bedeutet, dass sämtliche weiteren Erhöhungen alleine die Arbeitnehmer tragen sollen. Doppelt ungerecht: Die Versicherten bezahlen Praxisgebühr und Zusatzbeiträge und erhalten dafür immer weniger Versicherungsleistungen.
Wir finden: Gerecht geht anders!
Für eine gerechte Umverteilung, nicht zuletzt im Gesundheitsbereich, demonstrierten am 12. Juni Zehntausende in Berlin und in Stuttgart. Etwa 200 Münchnerinnen und Münchner waren mit drei ver.di-Omnibussen in Stuttgart dabei.
Anstelle von Kopfpauschalen und anderen Schandtaten fordern Gewerkschaften eine solidarische Bürgerversicherung. Die Arbeitgeber sind auch künftig paritätisch an der Finanzierung des Gesundheitswesens zu beteiligen. Die Einkommen aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung sind zur Beitragszahlung heranzuziehen, die Beitragsbemessungsgrenze muss angehoben werden. Und es gibt noch weitere Optionen, um eine gerechte Finanzierung des Gesundheitswesens zu sichern: Der Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel ist auf sieben Prozent zu reduzieren. Eine Positivliste für Medikamente könnte 4,2 Milliarden Einsparungen bringen. In den meisten europäischen Nachbarländern gibt es diese bereits. Private Krankenversicherungen müssen den gleichen Regeln unterworfen werden wie gesetzliche Krankenversicherungen.
Der 12. Juni war ein Auftakt. Die Proteste gegen soziale Ungerechtigkeit, nicht nur im Gesundheitswesen, müssen und werden weitergehen. An uns allen wird es liegen, ob sie noch wesentlich breiter werden. Schließt euch an!