Beim ver.di-Empfang für neu gewählte Betriebsrätinnen und Betriebsräte im Saal des Alten Rathauses Ende Juni

Von Ernst Antoni

Gleich zwei Gratulationen stellte Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, SPD, seinem Beitrag zum ver.di-Betriebsräte-Empfang im Saal des Alten Rathauses voraus: "Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Wahl und zu Ihrer Entscheidung, für den Betriebsrat zu kandidieren. Und ich gratuliere ver.di, dass es der Gewerkschaft gelungen ist, die neu gewählten Betriebsräte in so großer Zahl hier zusammenzubringen und Günter Wallraff zu dieser Veranstaltung einzuladen." Zum ver.di-BR-Empfang am 23. Juni waren trotz Sommerhitze und Fußball-WM rund 500 neu oder wieder gewählte Kolleginnen und Kollegen gekommen - Gewerkschaftsmitglieder und noch nicht Organisierte. "Betriebsratsverseucht", stand in der Veranstaltungsankündigung, "hieß das ‚Unwort' des vergangenen Jahres. Dem wollen Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter zum Auftakt der vierjährigen Amtsperiode der Betriebsräte ihr Verständnis von Demokratie in Betrieb und Gesellschaft entgegensetzen. Mit hochkarätigen Referenten." Zwar klinge es ein wenig wie ein "Schwafelthema", so OB Ude in seinem Redebeitrag über die "Bedeutung der betrieblichen Interessensvertretung für das Gemeinwesen". Gerade in München habe sich aber öfter gezeigt, wie eng Betriebsratsaktivitäten und Stadtentwicklung zusammenhängen können. Ein Beispiel dafür sei die Firmengeschichte von BMW. Ausdrücklich plädierte Ude für die Zusammenarbeit von Betriebsräten und Gewerkschaften über Branchengrenzen hinweg - vor allem bei Themen wie Leiharbeit oder Mindestlohn. Und er setzte dem Unternehmer- und FDP-Schlagwort "Privat vor Staat" die Maxime entgegen, dass "das Gemeinwohl über die Interessen der Profitmaximierung zu stellen" sei. Dringend empfahl der OB den Anwesenden, die "Klassiker" des Autors Günter Wallraff zu lesen und auch dessen aktuelles Buch Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere.

Respekt vor dem Engagement der Betriebsräte

Solidarisch dabei: Oberbürgermeister Christian Ude und Schriftsteller Günter Wallraff

Harald Pürzel, ver.di-Bezirksvorsitzender und Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates des Süddeutschen Verlags, hatte Wallraff schon einleitend mit den Worten "Er ist einer von uns" angekündigt. Daraus machte der Meister der Undercover-Reportage dann auch im Gespräch mit Moderator Dirk Nagel vom Fachbereich Handel und Fragestellern aus den Betriebsräten keinen Hehl. "Großen Respekt" habe er für das Betriebsrats-Engagement; so etwas sei heute "nicht mehr selbstverständlich". Das hänge auch damit zusammen, dass es in Unternehmen zunehmend Attacken und juristische Finessen gegen die Arbeit von Betriebsräten gebe - bis hin zu Erpressungen und Nötigungen. Dazu kämen "unmenschliche Arbeitsbedingungen" - bei Discountern und ihren Zulieferern etwa. Skandalös sei zudem, dass "jede zweite Stelle, die zurzeit entsteht, eine befristete oder zum Teil prekäre ist" und dass diese Art Arbeitsmarkt vom Staat unterstützt werde. Es gebe aber auch Möglichkeiten der Gegenwehr, die ergriffen und ausgebaut werden müssen. Dafür brauche es Betriebsräte und Gewerkschaften, die noch mehr als bisher gemeinsame Plattformen mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen und Institutionen finden müssten. Auch die Kirchen könnten hier wichtige Partner sein.

Wichtig, das Bewusssein zu verändern

Seine Aufgabe als Rechercheur und Publizist sieht Wallraff darin, "aufzurütteln, um menschliche Verhältnisse herzustellen". Und auf die Frage, ob und wie dies gelinge, betonte er: "Man kann im Einzelfall was machen - aber noch wichtiger ist es, die Bewusstseinsverhältnisse zu verändern." Dafür sei "Öffentlichkeit Sauerstoff", meinte der Autor und kündigte in diesem Zusammenhang an, mit gewerkschaftlicher Unterstützung eine Stiftung gründen zu wollen. Deren Ziel soll sein, junge Journalistinnen und Journalisten mit ungewöhnlichen Recherchetechniken und den Möglichkeiten der Sozialreportage vertraut zu machen.