Die Arbeitgeber beklagen einen Fachkräftemangel - dabei haben sie ihn weitgehend selbst verursacht

Wolfgang Uellenberg-van Dawen ist Leiter des ver.di-Bereichs Politik und Planung

Der Jammer ist groß und die Klage gewaltig. Pünktlich zu Beginn des Ausbildungsjahres haben die Arbeitgeberverbände, kräftig sekundiert von Teilen der Politik, den Fachkräftemangel auf die Titelseiten der Medien gehoben. Gewünschter Effekt: Die immer noch viel zu vielen jungen Menschen, die jetzt zum ersten Mal oder auch zum wiederholten Mal vergeblich einen Ausbildungsplatz suchen, werden an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt. Ausgeblendet wird auch die Misere in den unzähligen Maßnahmen des Übergangsmanagements zwischen Schule und Beruf. Abgestempelt als nicht ausbildungsreif, werden junge motivierte Menschen von einer Maßnahme in die nächste geschickt, obwohl die allermeisten von ihnen nur einen Ausbildungsplatz bräuchten. Übersehen wird zudem, dass Arbeitgeber heute für viele Ausbildungsgänge Auszubildende mit der höchst möglichen Schulbildung suchen. Abiturienten statt Realschüler, Realschüler bzw. Sekundarstufe 1 statt Hauptschüler. Nur noch die Bestqualifizierten bekommen in den Berufen mit Zukunft eine Chance. Andererseits bieten Arbeitgeber vor allem in kleineren Unternehmen oftmals kaum eine Ausbildung, sondern nutzen die Azubis als billige Arbeitskräfte, wie eine DGB-Studie über die Qualität der Ausbildung jüngst in aller Klarheit offen gelegt hat.

Besonders peinlich wirken Vorschläge, den Fachkräftemangel durch die gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland zu beheben, wenn man sich die Zahlen über den nach wie vor zu geringen Anteil junger Menschen mit Migrationshintergrund an der Ausbildung ansieht. Dabei spielt oft weniger eine geringe Schulbildung, sondern vielmehr mangelnde Einstellungsbereitschaft von Arbeitgebern eine Rolle.

"Fachkräftemangel" also nur ein Ablenkungsmanöver? Leider nicht nur: Es fehlen Facharbeiter in den Metall- und Elektroberufen oder auf dem Bau. Es fehlen junge und gut ausgebildete Frauen und Männer in den Ingenieurberufen. Erzieherinnen werden gesucht und immer mehr Fachkräfte in der Altenpflege. Andererseits warten weit über drei Millionen Arbeitslose auf einen neuen Job. Nicht alle sind in den Berufen ausgebildet oder tätig gewesen, wo Fachkräfte gesucht werden. Aber mit praxisnah konzipierten und längerfristig angelegten Weiterbildungsmaßnahmen könnten viele von ihnen die geforderten Qualifikationen erlangen. Jetzt rächt sich, dass durch die Hartz-Re-formen diese längerfristigen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu Gunsten von kurzfristigen Anpassungsqualifizierungen aufgegeben wurden. Fachkräfte in der Altenpflege wurden so ausgebildet.

Fachkräftemangel - in vielen Branchen mehr ein Schreckgespenst als Realität - wird dann zu einem Problem, wenn die Ausbildungsmisere nicht schnell beseitigt wird. Es wurde über Jahrzehnte zu wenig ausgebildet: In der Industrie gingen mit dem Verlust von zehntausenden industrieller Arbeitsplätze auch Ausbildungskapazitäten verloren. In Unternehmen, in denen die Steigerung der Rendite um jeden Preis an die erste Stelle gerückt wurde, waren und sind langfristige Investitionen in die Ausbildung nur überflüssige Kosten. Der Ausbau der Studienplätze in den Ingenieurberufen ging nicht einher mit der Entwicklung der Nachfrage. Über Jahre hinweg suchten junge Ingenieure vergeblich Arbeitsplätze - und Jahre später dann Unternehmen mühsam Ingenieure. Zudem lockt die Aussicht, nach einem Hochschulabschluss erst einmal ein oder zwei Jahre als Praktikant für wenig oder gar kein Geld zu arbeiten, auch nicht gerade qualifizierte Arbeitskräfte in Scharen in die Unternehmen.

Wer den gesellschaftspolitischen Skandal einer Fachkräftelücke auf der einen und Millionen Arbeit und Ausbildung suchender Menschen auf der anderen Seite vermeiden will, muss jetzt umsteuern: Um die Finanzierung der Ausbildung vom einzelbetrieblichen Kostenmanagement zu befreien, brauchen wir endlich eine Ausbildungsumlage. Und wir brauchen eine vorausschauende Ausbildungs- und Bildungspolitik, die die allseits erkannten gesellschaftlichen Trends mit der daraus folgenden Nachfrage an qualifizierten Fachkräften verbindet und entsprechend auch die Weichen in der Berufsbildung einschließlich der Hochschulausbildung stellt.

Eine Ausbildungsumlage als Grundlage für ein ausreichendes und auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen, ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung und eine umfassende Weiterbildung für Arbeitslose, eine vorausschauende Qualifizierungspolitik und natürlich mehr Arbeitsplätze - das sind angemessene Antworten auf ein von den Arbeitgeberverbänden und der Politik seit Jahren beklagtes, aber weitgehend von ihnen selbst verursachtes Problem.

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Wir brauchen endlich eine Ausbildungsumlage. Und eine vorausschauende Ausbildungs- und Bildungspolitik