Ausgabe 10/2010
Aufs Altenteil war früher
Ehrenamt Mehr als jeder und jede Dritte über 65 engagiert sich außer Haus
Von Ulla Lessmann
Nahezu 600 Projekte gibt es alleine in NRW, in denen sich Ältere ehrenamtlich für Jüngere einsetzen und umgekehrt: als Hausaufgabenhelfer, Sprachförderer für "sozial Schwache" und nicht-deutschsprachige Kinder, Berufsfindungs- und Bewerbungshelfer, Ersatzgroßeltern, Einkaufs- und Behördenbegleiter, als Betreuerin kranker Kinder, Ratgeberin junger Unternehmer. Sie alle gehören zu den 37 Prozent der über 65-Jährigen, die ehrenamtlich arbeiten, jeder Vierte tut es noch bei den 70- bis 75-Jährigen. Die gegenwärtige Rentnergeneration ist so mobil und gesund wie keine vor ihr. Jetzt sollen auch noch jene zwei Drittel motiviert werden, die sich nicht engagieren; die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag einen Plan für "Bürgerschaftliches Engagement" vorgesehen.
Die heterogenste Gruppe der Gesellschaft sind Menschen ab 65 - "die" Alten gibt es nicht. Ihr Engagement setzt ein positives Bild vom Alter voraus, sowohl bei den Älteren als auch bei den Jüngeren. Bund und Länder betreiben deshalb seit Jahren eine Kampagne "Junge Bilder vom Alter": Jugendliche und Senioren nehmen in Kooperation mit Schulen, Kommunen, Schauspielhäusern, Museen und Unternehmen Vorurteile über das Alter und das Älterwerden auseinander und konfrontieren sie mit realistischen Bildern und Visionen vom Alter. So entstehen Theaterstücke, Texte, Filme, auf Kongressen kommen Kommunen, Netzwerke, Wissenschaftler zusammen, um Klischees zurecht zu rücken. Ursula Lehr, 80, Begründerin der Alterspsychologie: "Um mitzuwirken, mitzugestalten ist wichtig, wie wir alt werden, nicht wie alt wir werden. Das Alter hat viele Gesichter und diese vielen Gesichter des Alterns bilden sich während eines ganzen Lebens heraus. Engagement ist das Ergebnis eines lebenslangen Prozesses."
Ein Leben lang aktiv
Die meisten Älteren sind in sozialen, sportlichen oder kulturellen Zusammenhängen aktiv, bürgerschaftliches Engagement gibt es aber genauso in kommunalen Seniorenbeiräten oder Seniorenbüros. Rolf Kauls vom Seniorenbeirat der Stadt Gladbeck: "Wir organisieren Kulturabende im Seniorenheim und nachmittägliches Seniorenkino, das sich jeder leisten kann, wir bieten Wanderungen und ein Internetkaffee für unsere Altersgenossen an."
Wer lebenslang interessiert, aktiv und engagiert war, bleibt es auch, wenn er älter wird. Das ist die Erfahrung von Heribert Lassner, in der ver.di-Bundesverwaltung für die Seniorenarbeit zuständig: "Wer gewerkschaftlich engagiert war, will auch nach dem Berufsleben mitmischen." Das kann er beispielsweise in "Silberstreif", wo sich Berliner ver.di-Senioren tummeln. Claus Lock, im Bezirk dafür zuständig: "Die Mitgliederhaltearbeit ist uns besonders wichtig, wir sprechen Neurentner an, informieren sie über unser Angebot. Ein Problem ist, dass die Leute ihr Geld zusammenhalten müssen." Ehrenamt ist kostenlos - für die, die davon profitieren. Freiwillige brauchen Geld für den Bus oder den Kaffee. Lassner: "Oft scheitert der gute Wille an einer kleinen Aufwandsentschädigung." Fachleute warnen: Zukünftig werden Rentner/innen ärmer sein und Armut verhindert Engagement im Alter.
Zudem: Keineswegs werden alte Menschen überall begeistert begrüßt. Immer noch gibt es Institutionen, die Menschen über 70 nichts mehr zutrauen. So gilt für Schöffen die Altersgrenze 70, eine willkürliche Diskriminierung, die die Bundesregierung kürzlich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als "sachlich begründete und gerechtfertigte Altersdifferenzierung" bezeichnete. Hanne Schweitzer vom Kölner Büro gegen Altersdiskriminierung kennt das: "Die Telefonseelsorge des evangelischen Kirchenverbands sucht gerade ehrenamtliche Telefonseelsorger/innen, die aufgeschlossen sind, gut und einfühlsam zuhören können, psychisch belastbar und flexibel sind, mit Krisen umgehen können. Aber nach Meinung des Kirchenverbands erfüllen Über-65-Jährige diese Anforderungen nicht mehr." Altersdiskriminierung im Ehrenamt ist nicht selten, selbst in vielen Sport- oder Schützenvereinen ist mit 75 Schluss - egal, wie der Ehrenamtliche drauf ist.
Senioren mit Zeit und Lust, ihre Erfahrung weiterzugeben, müssen zudem aufpassen, dass sie nicht kostenloser Lückenbüßer für weggesparte Arbeitsplätze im sozialen und kulturellen Bereich werden. Oft fehlt auch die Anerkennung, der kleine Dank. "Unsichtbare" Helfer/innen wollen die wenigsten unter ihnen sein.
Immerhin: Bürgerschaftliche Teilhabe kann man lernen. "Erfahrungswissen für Initiativen" heißt eines der zahllosen Projekte auf Bundes- und Landesebene, in denen Seniorinnen und Senioren trainieren, wie und wo sie sich unterstützend, beratend und begleitend einbringen können. Auch ver.di hat ein Bildungskonzept fürs Ehrenamt entwickelt. Lassner: "Es geht darum, die Älteren zu motivieren und zu stärken." Denn bewiesen ist: Das Ehrenamt ist gesund. Sozial Engagierte leben fünf bis sieben Jahre länger.
Und was könnte ich machen?
ver.di-Senioren: www.senioren.verdi.de und www.senioren-berlin.de ("Silberstreif")
Büro gegen Altersdiskriminierung, kostenloser Newsletter: www.altersdiskriminierung.de
Seniorenbeirat Gladbeck: www.senioren-in-gladbeck.de
270 Seniorenbüros hier: www.seniorenbueros.org
Informations- und Ideenpool: www.senioren-initiativen.de