Ausgabe 10/2010
Chef ist nicht zu sprechen
Von Silke Leuckfeld
ZDF und RTL, Verlage wie Bauer und Bertelsmann, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Krankenkassen, Banken - die Kundenliste des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH, ist lang und prominent. Pro Schicht telefonieren allein in Berlin rund 200 Studierende, Rentner, Nebenberufler und "Hartz-IV-Aufstocker/innen" von 17 bis 21 Uhr an fünf Tagen in der Woche für Forsa. Sie rufen Privatleute an und fragen sie im Auftrag der Kunden nach ihrer Meinung. Dass die Interviewer in diesen vier Stunden nicht mehr als 28 Euro brutto verdienen, wissen ihre Gesprächspartner nicht.
Druck und Dreck
Für Forsa arbeiten 60 Festangestellte und mehr als 1000 Interviewer/innen in Berlin und Dortmund. Die Interviewer haben einen Vertrag als freie Mitarbeiter mit der Firma Monitel GmbH Gesellschaft für Datenservice und -organisation, die unweit von Forsa in Berlin-Mitte ihre Geschäftsräume hat. Die freien Mitarbeiter erhalten ein Stundenhonorar von acht Euro. Davon müssen sie einen Euro gleich wieder abgeben, als Miete für die Technik und ihren Arbeitsplatz in den Geschäftsräumen von Forsa. Urlaubsgeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Betriebsrat gibt es nicht. Selbst wenn die Beschäftigten auf die Toilette gehen, müssen sie sich abmelden und werden für diese Zeit nicht bezahlt.
Nicht nur über die schlechte Bezahlung, auch über die Arbeitsbedingungen beklagen sich zahlreiche Interviewer bei ver.di: Die Kopfhörer seien schmutzig und es sei unklar, wann sie desinfiziert würden, neu angeschaffte Stühle führten zu Rückenschmerzen. Sie würden so dicht aufeinandersitzen, dass es oft zu laut sei, um den Gesprächspartner gut zu verstehen.
Um ihre Situation zu verbessern, haben Studierende eine Arbeitsgruppe bei ver.di gebildet. Ihre Forderungen: Zehn Euro Stundenlohn minus ein Euro für die Nutzung von Computer und Arbeitsplatz, zehn Minuten pro Schicht bezahlte Pause, bessere Stühle und saubere Kopfhörer. Zwei ältere Interviewer erklärten sich bereit, das Gespräch mit dem Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner zu führen. Doch sie drangen nie bis zu ihm vor, mehrere Termine wurden von Forsa abgesagt.
Kalte Aussperrung
Am 30. Juli meldete ver.di eine Kundgebung vor dem Forsa-Gebäude an, um alle Interviewer über die Forderungen zu informieren. Am Abend zuvor klingelte bei den zur Schicht Eingeteilten das Telefon: Sie müssten nicht zur Arbeit kommen, es würden Netzwerkarbeiten durchgeführt. "Wenn sich herausstellt, dass Forsa die Beschäftigten nicht arbeiten lässt, weil ver.di eine Kundgebung vor dem Forsa-Gebäude durchführen will, hat das den Charakter einer kalten Aussperrung", sagt Susanne Stumpenhusen, ver.di-Landesbezirksleiterin Berlin-Brandenburg.
Die Studierenden ließen sich trotzdem nicht entmutigen: Sie trugen große Pappschilder mit klaren Ansagen: "Forsa - unsozial, schlechte Arbeitsbedingungen", "Sieben Euro sind zu wenig", "Bei Forsa heute Schichtausfall - Angst vor ver.di-Aktion?"
Danach kündigte Monitel den beiden Interviewern die Verträge, die das Gespräch mit Manfred Güllner führen wollten. Beide gingen juristisch dagegen vor. "In dem einen Verfahren kam es im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht zu einer Einigung, der Kollege wird wie zuvor weiterbeschäftigt", sagt Steffen Damm, ver.di-Rechtssekretär.
Eine für alle
Ingrid Kröning muss weiter um ihr Recht kämpfen. Ihr wird im Kündigungsschreiben vorgeworfen: "Da Sie sich mit dieser Aktion von Verdi identifiziert haben, muss davon ausgegangen werden, dass Sie entsprechende Informationen an Verdi weitergegeben haben." Der vermutete "Geheimnisverrat" sei ein Verstoß gegen ihren Vertrag, der sie verpflichtet, über alle Betriebs- und Geschäftsvorgänge Stillschweigen zu bewahren. "Ich habe keine Informationen weitergegeben, ver.di wusste schon von den Arbeitsbedingungen bei Forsa", sagt Kröning. Sie wird von Monitel in Generalhaftung für alle genommen: Monitel behalte sich Schadenersatzforderungen gegen sie vor, da Forsa Monitel abgemahnt und mit Kündigung des Auftrags gedroht habe, wenn sich die freien Mitarbeiter weiter an "derartigen Aktionen" beteiligen. ver.di-Blog: www.fair-im-callcenter.de