So nicht! Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske wird deutlich

Gut 2000 Gewerkschaftskolleg/innen kamen am 4.11. zur zweiten großen Veranstaltung im Rahmen der Kampagne "Gerecht geht anders". Uwe Grund, der Hamburger DGB-Chef, nahm sich zu Beginn den Hamburger Senat zur Brust: "Erst verschleudern sie hunderte von Millionen, weil ihnen die Kosten für ihre Prestigeobjekte wie die Elbphilharmonie aus dem Ruder laufen. Dann meinen sie: Jetzt muss gespart werden. Dabei meinen sie aber nicht sich, sondern die Eltern, bei denen sie die Beiträge für die Kitas anheben; die Beschäftigten in den Theatern, Museen und in den Bücherhallen, wo aufgrund der massiven Kürzungen Schließungen wahrscheinlich werden. Schließlich sollen die Beamten wieder einmal ein Sonderopfer bringen und massive Weihnachtsgeldkürzungen hinnehmen. Gerecht geht wahrlich anders!"

Keine Kürzungen bei der Beschäftigungsförderung

Im Anschluss führte Uwe Grund durch eine bunte Revue, in der die Betroffenen der Kürzungen zu Wort kamen: 32 Ein-Euro-Jobber des Beschäftigungsträgers Alraune gGmbH hängen unter dem Slogan "Wir geben unser letztes Hemd nicht her!" beschriftete Protesthemden auf eine Wäscheleine quer über die Bühne. Dabei erklären sie, was die massiven Kürzungen bei der Arbeitsmarktförderung - von 100 Millionen jährlich Ende der 90er auf gerade noch 15 Millionen für operative Aufgaben 2011 - für sie bedeuten.

Gegen die Rente mit 67!

Zu den Klängen des Songs Bruttosozialprodukt von Geier Sturzflug schiebt sich eine Rollatorenparade durch die Halle. An den Haltegriffen Hafenarbeiter/innen, Müllwerker, Krankenschwestern und Pfleger sowie Brief- und Postzusteller/innen in Berufskleidung; alles Kolleg/innen mit körperlich belastenden Berufen, die sich nicht vorstellen können, das Rentenalter 67 gesund und im Job zu erreichen. Auf der Bühne werden parallel Szenen aus ihrem Arbeitsalltag nachgestellt: Müllwerker wuchten Tonnen auf die Bühne, so wie sie täglich die Mülltonnen aus Kellern auf die Straße hieven und im Laufe eines Arbeitstages rund 20 Tonnen Gewicht bewegen; zwei Briefzusteller packen riesige Mengen Briefe und Pakete auf ihr Fahrrad, mit dem sie täglich bis zu 120 kg, an Samstagen über 600 Kilogramm Gewicht transportieren; Hafenarbeiter werfen Säcke über die Bühne und erklären, dass aufgrund der Belastungen im durchgängigen Schichtbetrieb schon heute kaum einer die Rente mit 65 schafft; zwei Krankenschwestern zeigen, was es bedeutet, jeden Tag x-mal schwere Patienten zu bewegen, indem sie Wolfgang Rose, den Hamburger ver.di-Landesleiter, von einem Stuhl auf eine Trage umbetten.

Wer an Kultur spart, spart sich die Zukunft

Nun tritt Martin Luther an die Kanzel und liest dem Hamburger Senat wegen der Kürzungen bei den Bücherhallen die Leviten. Statt 95 wie in Wittenberg, hat er diesmal nur eine These zum Anschlagen an die Rathaustür dabei: An Kultur und Bildung darf nicht gespart werden. Wer das trotzdem tut, gefährdet die Zukunft der Stadt! In einer spritzigen Gesprächsrunde stellen drei Kollegen das Schauspielhaus, Deutschlands größte Sprechbühne, vor: Man freue sich zwar auch über bildungsbürgerliche Besucher aus Blankenese, Winterhude und Volksdorf, sei aber für alle Hamburger da. Besonders deutlich werde das im Jungen Schauspielhaus. Das sei zwar schon fünf Jahre alt, aber noch viel zu jung zum Sterben. Das Haupthaus zähle schon 110 Jahre, sei dabei aber jung geblieben. Das müsse so bleiben. Was viele nicht wissen: Das Theater gibt 380 Menschen Arbeit und bildet 16 junge Menschen aus. Die einprägsame Kurzvorstellung endete mit dem Appell: Wir sind das Schauspielhaus! Sie auch! Auf der Bühne sitzen die acht historischen Museen der Stadt auf acht Stühlen. Zum Song Money, Money beginnt ein Auswahlverfahren durch das Spiel "Reise nach Jerusalem", das durch den die Peitsche schwingenden Kürzungssenator mit Frack, Melone und Zigarre erzwungen wird. 500000 Euro Kürzungen 2011 - da waren's nur noch sieben, eine Million 2012 - da waren's nur noch fünf. Als am Ende die 3,5 Millionen Einsparungsvolumen erbracht sind, gibt es kein historisches Museum mehr in der Stadt. Fazit: Mit uns verliert Hamburg seine Identität. Ohne Identität verliert es seine Zukunft. Mit unserer Schließung hätte der Senat viel gespart, aber ungleich mehr verloren.

Jetzt werden die Weichen gestellt

Politischer Höhepunkt des Abends war die Rede des ver.di-Bundesvorsitzenden Frank Bsirske. Hier einige Zitate zur Situation in Hamburg und Deutschland: "Kürzungen bei der Beschäftigungsförderung, bei den Museen, den Theatern, den öffentlichen Bücherhallen - Ihr habt es gehört. Jetzt werden die Weichen gestellt, wer die Lasten der Wirtschaftskrise der letzten Jahre tragen soll. Die riesigen Verluste der Krise dürfen nicht sozialisiert werden. Es kann nicht sein, dass das Spekulationscasino mit Steuergeldern renoviert und danach wieder den Spekulanten übergeben wird. Der internationale Finanzmarkt muss endlich rereguliert werden.

(...) Angela Merkel erklärt im Juni dieses Jahres, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt. Da darf man doch mal fragen, wen sie damit meint. Erste Antworten kommen dann aus Bayern von der CSU: die Arbeitslosen. Und Herr Rösler kommt gleich hinterher: die in der gesetzlichen Krankenkasse Versicherten. Und als Heilmittel empfiehlt er zugleich die Einführung der Kopfpauschale. Und sowieso klar ist: die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Da wird dann auch gleich kräftig gestrichen und gekürzt. (...) Unten belasten, um oben zu entlasten, das ist der rote Faden, der sich durch die Politik der schwarz-gelben Regierung zieht. Das ist nicht gerecht. Gerecht geht anders!

Es ist politisch gewollt, dass wir zur Steueroase für Superreiche geworden sind. Wenn wir nur das EU-Durchschnittsniveau bei der Besteuerung der Reichen und Superreichen erreichten, brächte das alleine 35 Milliarden an zusätzlichen Steuereinnahmen - so eine Schätzung des Sachverständigenrats. Und es ist auch nicht gottgegeben, dass wir uns ein organisiertes Steuervollzugsdefizit leisten. Insgesamt fehlen bundesweit 6 000 Steuerprüfer. Jeder davon würde netto Einnahmen von einer Million Euro erbringen, alleine dadurch, dass er seinen Job macht und die Unternehmen prüft. Jedes Jahr verzichtet die Steuerverwaltung so auf sechs Milliarden Euro! Die Krise ist in Wirklichkeit eine Krise der Steuereinnahmen. Gerecht geht anders!

Zu einer gerechten Politik gehören

  • eine Besteuerung, bei der die Profiteure des Spekulationskapitalismus ordentlich zur Kasse gebeten werden. Breite Schulter können und müssen mehr tragen!
  • der Verzicht auf die Rente mit 67
  • ein gesetzlicher Mindestlohn auf dem Niveau unserer westlichen Nachbarn
  • der Verzicht auf Leiharbeit als systematische Lohndrückerei. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
  • eine solidarische Bürgerversicherung statt einer Zwei-Klassen-Medizin

Das wäre eine gerechte Politik. Lasst uns gemeinsam dafür streiten!"

gerecht-geht-anders-hamburg.de