Fünf Dollar mehr Lohn bekommt Hout Vannak seit Oktober. Um diesen Betrag wurde der Mindestlohn der Arbeiter in Kambodschas Textilfabriken von bisher 56 auf 61 Dollar pro Monat angehoben. Das hatte der Verband der Textilfabriken Kambodschas (GMA) mit der Regierung vereinbart. Dafür muss Vannak in einer Sechstagewoche neun Stunden am Tag arbeiten. Mit Überstunden, die sie nicht verweigern kann, kommt die Mutter von zwei Kindern auf ein Monatseinkommen von etwa 80 Dollar. Davon kann sie mit ihrer Familie kaum leben.

Hout Vannak ist eine von mehr als 350000 Textilarbeiter/innen in Kambodscha, die in den Fabriken am Stadtrand von Phnom Penh für zwei Dollar am Tag für Weltmarken wie Adidas, GAP oder Levis produzieren. Die Arbeiter/innen fordern 93 Dollar Mindestlohn. Dem Aufruf der Gewerkschaften zum Streik waren Mitte September 60000 Beschäftigte gefolgt. Die Streiks wurden ausgesetzt, als der Verband GMA Verhandlungsbereitschaft versprach. Doch dann stellte er eine Bedingung. "Die Gewerkschaften müssen sich für den Streik entschuldigen", sagte GMA-Chef Ken Loo. Diese Forderung weisen die Gewerkschaften bislang zurück.

Arbeitgeber und Regierung reagierten auf die Streiks mit den üblichen Einschüchterungen. Streikenden drohten Entlassung und Polizeieinsätze; die Regierung will Gewerkschaftsführer wie Tola Moeun verklagen. "Menschenrechtsaktivisten und Leute, die die Regierung kritisieren, werden wegen Diffamierung und Aufwiegelung angeklagt und verurteilt", sagt Tola Moeun. Von einer unabhängigen Justiz kann in Kambodscha keine Rede sein, wie auch unbotmäßige Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen schon erleben mussten.

Das Leben ist teuer

Die Textilindustrie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Kambodschas. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden Textilien und Schuhe im Wert von mehr als zwei Milliarden Dollar produziert. Aber Arbeitsplätze können auch schnell in andere Billiglohnländer verlagert werden. So, wie die Volkswirtschaft von der Textilindustrie und Investoren abhängig ist, sind es auch die Arbeiter/innen. Einen Jobverlust kann sich niemand leisten, denn das Leben ist teuer. 30 Dollar Miete muss Hout Vannak pro Monat für ein Zimmer zahlen, dazu Strom- und Wassergeld.

Doch die GMA hat ausgeschlossen, über eine Steigerung des Mindestlohns nachzudenken. Reden könne man allenfalls über höhere Zuschläge und verbesserte Arbeitsbedingungen wie eine freie Mahlzeit am Tag. Vorausgesetzt, die Gewerkschaften machen den Kotau. In einer SMS an ver.di PUBLIK stellte Ken Loo erneut klar: "Es gibt keine Verhandlungen, wenn die Gewerkschaften sich nicht entschuldigen." Michael Lenz