Von Kai Eicker-Wolf

HESSEN | Am 27. März werden die hessischen Kommunalparlamente neu gewählt. Nach dem Willen der Mehrheit des hessischen Landtags soll außerdem in einem Extraformular über die Verankerung der so genannten Schuldenbremse in der hessischen Landesverfassung abgestimmt werden. Als einzige im Landtag vertretene Partei lehnt Die Linke dieses Vorhaben ab. Im Rahmen der parlamentarischen Anhörung haben sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und ver.di sowie mehrere Wirtschaftssachverständige überwiegend ablehnend geäußert.

Weit verbreitet wird die Ansicht, der deutsche Staat und auch das Land Hessen hätten in den zurückliegenden Jahren über ihre Verhältnisse und damit auf Kosten der kommenden Generationen gelebt. Angestimmt werden soll damit ein allgemeines Wehklagen über die viel zu hohe Staatsquote und den ausufernden Sozialstaat.

Verhaltene Ausgaben

Haltbar sind solche Aussagen nicht. Vielmehr fällt die Entwicklung der öffentlichen Ausgaben in Deutschland außerordentlich zurückhaltend aus. In den Jahren 1998 bis 2008 stiegen die gesamten staatlichen Ausgaben um nur 1,4 Prozent, real - also preisbereinigt - sind die Staatsausgaben im Durchschnitt sogar um 0,2 Prozent pro Jahr gesunken. Kein anderes entwickeltes Land mit Ausnahme von Japan verzeichnet ein niedrigeres Wachstum der Staatausgaben als Deutschland. Und auch die Ausgaben im hessischen Landeshaushalt sind mit jahresdurchschnittlich rund zwei Prozent nur sehr mäßig gestiegen. Der geschilderte Sachverhalt spiegelt sich in der Entwicklung der deutschen Staatsquote wider: Diese ist von rund 48 Prozent Ende der 1990er Jahre auf knapp 44 Prozent im Jahr 2008 gesunken - ein im internationalen Vergleich relativ kleiner Wert.

Es ist ein Verteilungsproblem

Natürlich stellt sich die Frage, warum die öffentlichen Haushalte in den vergangenen Jahren trotzdem fast laufend Defizite aufwiesen und die Staatsverschuldung permanent gestiegen ist. Wer dies beantworten will, muss sich der Steuerpolitik der jüngeren Vergangenheit zuwenden. Insbesondere die Steuerrechtsänderungen der rot-grünen Bundesregierung seit dem Jahr 1998 haben hohe Steuerausfälle verursacht. Davon profitiert haben aufgrund des drastisch abgesenkten Einkommenssteuerspitzensatzes in erster Linie wohlhabende Haushalte. Und auch der Unternehmenssektor ist kräftig entlastet worden, insgesamt um jährlich elf Milliarden Euro. Durch das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" mit seinem Steuergeschenk für Hoteliers haben sich die Steuerausfälle - ausgehend vom Stand 1998 - auf aktuell jährlich insgesamt 50 Milliarden Euro erhöht, mittlerweile entfallen davon auf den Unternehmensbereich 20 Milliarden Euro. In Hessen fehlen im Landeshaushalt allein im laufenden Jahr durch die Steuersenkungsorgien der vergangenen Jahre mehr als zwei Milliarden Euro.

Die öffentliche Hand hat in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht zu viel verteilt, ganz im Gegenteil: Deutschland kann sich beim Sparen mit dem zweifelhaften Titel des "Vize-Weltmeisters" schmücken. Kaum ein entwickeltes Land gibt weniger Geld für den gesellschaftlich so wichtigen Bereich Erziehung und Bildung aus. Viele Kommunen sind pleite und wissen nicht, wie sie etwa die Sanierung von Schulen oder von kaputten Straßen bezahlen sollen.

Die Milchmädchenrechnung

All dies ist Folge einer Politik, die große private Einkommen und Unternehmen entlastet und dann bei öffentlichen Ausgaben spart.

Weiter auf die Spitze getrieben wird dieser staatliche Sparkurs durch die so genannte Schuldenbremse. Sind die staatlichen Einnahmen selbstverschuldet vermindert, entsteht ein "Sachzwang", der weiter in den Magerstaat führt. So hat die hessische Landesregierung ihren aktuellen Sparhaushalt, der erhebliche Kürzungen bei den Mitteln für die Kommunen und den Bildungsausgaben vorsieht, mit der einzuhaltenden Schuldenbremse begründet, nach Milchmädchens Motto: Was ich nicht im Geldbeutel habe, kann ich nicht ausgeben.

SPD und Grüne wollen einer Schuldenbremse in der hessischen Verfassung zustimmen. Sie müssen sich dann fragen lassen, warum sie nicht wenigstens eine Bedingung gestellt haben: die Rücknahme der Kürzungen durch die Landesregierung bei der Bildung und bei den Kommunen.

Wer einen handlungsfähigen Sozialstaat, mehr Geld für Erziehung, Bildung und angemessen finanzierte Kommunen befürwortet, sollte am 27. März zur geplanten Verfassungsänderung NEIN sagen. Es wäre ein starkes Signal in die richtige Richtung.

Kai Eicker-Wolf ist Co-Autor des Buches: An den Grundpfeilern unserer Zukunft sägen. Bildungsausgaben, Öffentliche Haushalte und Schuldenbremse, Metropolis-Verlag 2010