Protest in Göttingen: Netto-Mitarbeiter werden von Katharina Wesenick (ver.di) interviewt

So kann es nicht weitergehen - das haben die Beschäftigten des Discounters Netto in Göttingen mit einer Aktion Mitte Mai klar gemacht. Vor der Netto-Filiale in der Göttinger Prinzenstraße protestierten sie gegen die katastrophalen Arbeitsbedingungen bei der Edeka-Tochter. "Unbezahlte Mehrarbeit ist knallharter Lohnbetrug", war auf einem ihrer Schilder zu lesen.

Die Aktion wurde von ver.di und dem DGB unterstützt, sogar Göttingens Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD), die SPD-Landtagsabgeordneten Ronald Schminke und Gabriele Andretta sowie Patrick Humke-Focks, Die Linke, waren dabei. Auch Passanten solidarisierten sich spontan.

Rückenschmerzen an der Kasse

Über die Zustände beim Marken-Discounter Netto beklagen sich viele der bundesweit 72.000 Beschäftigten, etwa 30.000 davon sind geringfügig beschäftigt. Die Liste von ver.di ist lang: Unterbezahlung, unbezahlte Überstunden, vielfältige Schikane, ständige Überlastung und Verstöße gegen Arbeitsschutzgesetze.

Die Betroffenen kritisieren, dass die Arbeitszeit teilweise nicht entlohnt wird, Pausen nicht gewährt werden und ihre Gesundheit durch ungeeignete Kassenstühle gefährdet ist. Darüberhinaus ist Mobbing durch Vorgesetzte ein weit verbreitetes Problem bei dem expandierenden Discounter - und das führt zu erheblichen psychischen Belastungen.

Den Beschäftigten wird auch ein Teil des ihnen zustehenden Lohns vorenthalten, indem die Arbeitszeit vor und nach Ladenschluss nicht bezahlt wird. "Zu unseren zentralen Forderungen zählt daher die Bezahlung der gesamten Arbeitszeit", sagte Karin S., die bei ver.di organisiert ist. "Wir werden es nicht länger widerspruchslos hinnehmen, dass wir täglich teilweise mehrere Stunden lang unentgeltlich arbeiten müssen." Auch mit den unerträglichen Zuständen an den Kassen wollen sich die Beschäftigten nicht länger abfinden. "Durch die Stühle habe ich ständig Rückenschmerzen, den anderen Kolleginnen geht es genauso", sagt Fatima K..

Tarifvertrag unterlaufen

In etlichen Fällen haben ver.di-Sekretäre überdies festgestellt, dass Netto den Tarifvertrag des Einzelhandels unterläuft. So erhalten Beschäftigte lediglich den untersten Tariflohn von 7,50 Euro, obwohl ihnen nach sieben Berufsjahren 13 Euro Stundenlohn zustehen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gewährt ihren Mitgliedern selbstverständlich Rechtsschutz.

"Was hier stattfindet, ist die gleiche Schweinerei wie bei Schlecker", kritisierte der SPD-Politiker Schminke bei der Protestaktion und erntete lautstarken Applaus. "Wir alle wollen billigere Lebensmittel. Aber keiner denkt daran, wie niedrige Preise zustande kommen, nämlich dadurch, dass unzureichende Löhne gezahlt werden", gab Göttingens Oberbürgermeister Meyer zu bedenken. Die Politiker kündigten an, Patenschaften für Netto-Filialen in der Region zu übernehmen, um den Beschäftigten den Rücken zu stärken. Netto verzeichnete im vergangenen Jahr erhebliche Gewinne und strebt die Marktführerschaft im Einzelhandel an.