Ausgabe 10/2011
Der Ansturm blieb aus
Von Frankfurt geht's reibungslos über die Oder nach Slubice
Von Birgit Tragsdorf
"Bitte Bewerbungsmappen gleich mitbringen, freie Arbeitsplätze gibt es in vielen Berufsgruppen." So warb die Chemnitzer Arbeitsagentur für ihre Jobbörse Südwestsachsen im September dieses Jahres. Gemeint sind Arbeitssuchende aus der Region auf beiden Seiten der Grenze zwischen Sachsen und Nordböhmen.
Solche Jobbörsen gibt es in den grenznahen Regionen - in Sachsen, Nordböhmen und Niederschlesien - seit dem 1. Mai 2011 regelmäßig und viel häufiger als vor der Regelung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Vor allem Arbeitgeber aus der Elektro- und Metallbranche, aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der Landwirtschaft, dem Pflegebereich, aus der Textilindustrie und auch Leiharbeitsfirmen suchen Arbeitskräfte. Und die sind in der Region kaum zu haben. So soll es im Arbeitsamtsbezirk Chemnitz keinen arbeitslosen Elektriker mehr geben, der vermittelbar sei, so erfuhren es die Gäste der Fachvorträge und Diskussionen auf der Veranstaltung.
Nachwuchs für das Handwerk
Wer Arbeit sucht, egal auf welcher Seite der Grenze, konnte mit Personalentscheidern aus Betrieben, Fachvermittlungsdiensten, Handwerkskammer, IHK und verschiedenen Vertretern von Beratung und Arbeitsvermittlung im Ausland Kontakt aufnehmen und konkrete Anfragen oder gleich seine Bewerbung loswerden.
Vlastislac Hlaváć von der Arbeitsverwaltung im Landkreis Ústí nad Labem benannte auf der Jobbörse in Chemnitz die Hemmnisse für einen gemeinsamen Arbeitsmarkt: eine andere Berufsausbildung in Böhmen, das duale System gibt es dort nicht. In den Schulen, auch in der grenznahen Region, wird kaum noch Deutsch gelehrt und gelernt. Die Handwerkskammer Chemnitz arbeitet mit der Wirtschaftskammer in Most zusammen. Acht Azubis aus Most lernen nun bei deutschen Handwerkern einen Beruf. Da fehlt der Nachwuchs am dringendsten. Den umgekehrten Weg nach Böhmen oder Niederschlesien gehen bisher nur sehr wenige Arbeitnehmer/innen. Es wird in den nächsten Jahren intensiver nach Lösungen gesucht werden müssen, denn auch in Böhmen ähnelt die demografische Entwicklung der auf der deutschen Seite.
Die EURES-Beratung im Dreiländereck
Im Vorfeld der Arbeitnehmerfreizügigkeit hatte es jede Menge Bedenken in allen drei Grenzregionen gegeben. Befürchtet wurde auf deutscher Seite, dass ohne Mindestlohn "billigere" Arbeitnehmer aus Polen und Tschechien kommen würden. In diesen beiden Ländern wiederum gab es Ängste vor dem Verlust von jungen und gut ausgebildeten Arbeitskräften an Sachsen. Doch der Run ist ausgeblieben.
Es gibt eine Grenzpartnerschaft in den Regionen - EURES-TriRegio genannt. Das langfristige Ziel ist die Entwicklung eines gemeinsamen Arbeitsmarktes unter Einhaltung der bestehenden Arbeits- und Sozialstandards. Im Boot sitzen da Vertreter von Arbeitsverwaltungen, Gewerkschaften und von Arbeitgeberverbänden aus Sachsen, Böhmen und Niederschlesien. Zwölf EURES-Berater sind Anlaufstelle für Arbeitgeber und Arbeitsuchende. Simona Schiemenz von der Agentur für Arbeit agiert in Hoyerswerda. "Wir sind nicht nur Berater, wir sind eine Art Filter zwischen den Interessierten und den Arbeitsvermittlern im Haus." Es gibt eine Zunahme der Anfragen polnischer Arbeitnehmer. Aber von vier Anfragen kann sie nur eine an die Vermittler schicken. Es fehlen in erster Linie Sprachkenntnisse, oder die passende Berufsausbildung oder die Berufsanerkennung auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
"Ohne deutsche Sprachkenntnisse läuft nicht viel", so Simona Schiemenz, "gerade in den Pflegeberufen". Vorurteile und Befindlichkeiten müssen noch auf beiden Seiten abgebaut werden. Selbst gute ausgebildete Facharbeiter in der Kfz-Branche finden in den Werkstätten und Autohäusern in Sachsen kaum Anstellung. Und mancher Arbeitgeber auf deutscher Seite schielt noch immer nach günstigeren Arbeitskräften gen Osten. Die Bezahlung in den Grenzregionen ist ortsüblich. Das heißt: weit unter den Tarifen in anderen Regionen Deutschlands. Auch deshalb gehen noch immer junge Leute aus Sachsen in Richtung alte Bundesländer. Der Fachkräftemangel ist oft hausgemacht.
Hana Adamcová berät in Pirna tschechische Arbeitnehmer über offene Stellen, Arbeits- und Sozialrecht, Saisonarbeitsplätze oder Berufsabschlüsse. Waren es vor dem 1. Mai etwa fünf Anfragen bei ihr in der Woche, sind es heute zwischen 50 und 60, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Zudem hält sie jeden zweiten Freitag einen Vortrag für tschechische Arbeitnehmer/innen über den Arbeitsmarkt in Sachsen. Eine statistische Erhebung über die tatsächliche Zahl der Vermittelten gibt es nicht. Nach wie vor dominieren die Pendler in den Grenzregionen. Die Stadt Görlitz beispielsweise wirbt schon bei den polnischen Pendlern mit attraktiven Wohnungen. Arbeiten und wohnen auf beiden Seiten der Grenze, eine offene Grenzregion, könnte die Zukunft sein.