Robert Harris: Angst | Der Wissenschaftler Hoffmann geht den faustischen Pakt mit einem Investmentbanker ein, obwohl ihm Geld völlig gleichgültig ist. Er hat einen Algorithmus entwickelt, der die Angst am Finanzmarkt misst; das Duo wettet hedgefondsgemäß auf fallende Kurse, sichert sich durch eine Gegenwette ab und scheffelt Millionen. Banker und Analysten sind auf den Status von Microsoftsklaven reduziert, die dem Rechner nur noch bei der Arbeit zugucken. Das Gespenstische an Harris’ Roman ist seine Nähe zur Realität. Hoffmanns Algorithmus dreht frei und macht sich ohne Rücksicht auf moralische Verluste selbstständig. Und das, nachdem schon den ganzen Tag alles schief läuft für seinen Erfinder. Unerklärliche Ereignisse treiben den armen Kerl vor sich her, er wird überfallen, muss einen Deutschen erwürgen, und die Darwinsche Erstausgabe über Angstsymptome hat er sich auch nicht selbst gekauft. Und nun greift der Autor etwas auf, was 2010 als Flash Crash tatsächlich so passiert ist. Binnen zehn Minuten waren an der Wallstreet die Kurse abgestürzt, weil der Hochfrequenzhandel mit 24 Milliarden Aktien an einem Tag – so viel wie in den gesamten 60er Jahren – außer menschlicher Kontrolle geraten war. Dasselbe löst auch Hoffmanns Angstsoftware aus, und es kommt zum spannenden Showdown, der für unsere Zukunft nichts Gutes verheißt. Jenny Mansch

FINANZTHRILLER. HEYNE VERLAG, HARDCOVER 2011, 382 S.,19,99 €


Franz Hessel: Spazieren in Berlin | „Eine Botschaft aus dem noch nicht von Nazigräueln entwürdigten und zerstörten Berlin“ sei dieses Buch Franz Hessels, schreibt sein Sohn Stéphane Hessel im Geleitwort. Die schöne Neuausgabe von „Spazierengehen in Berlin“ von 1929 ist eine Liebeserklärung an die Zwischenkriegsstadt und eine humorvolle Anleitung, das „Neben- und Durcheinander“ von Vergangenheit und Gegenwart anzuschauen. Die Lektüre wird durch unser banges Wissen um die Zukunft des Berlins von 1929 durchkreuzt. Es gibt geradezu prophetische Passagen, in denen Hessel spöttisch auf Abriss oder Verfall von missglückten Bauten und Denkmälern hofft – eine Aufgabe, die der Krieg dann gründlich besorgte. Oder wir erschrecken, wenn er seine Überzeugung äußert, Militarismus und Nationalismus gehörten der Vergangenheit an: Der jüdische Autor musste vor den Nationalsozialisten fliehen und starb 1941 im französischen Exil. Bettina Klix

VERLAG FÜR BERLIN-BRANDENBURG, BERLIN, 2011, 240 SEITEN, 19,90 €


Bruno Preisendörfer: Candy oder Die unsichtbare Hand | Candides Bruder im Geiste tollt als amerikanischer Held durchs globale Dorf, erstaunt über Zustände, die so unanständig, und über Zufälle, die so zufällig sind, dass selbst der fröhliche Ami nicht mehr an die „unsichtbare Hand des Marktes“ glauben mag, die „alles in Ordnung und den Menschen immer mehr Wohlstand bringt“. Angesichts der desolaten Weltlage vermag das neckische Büchlein die Stimmung zu heben, liefert doch Voltaire die spöttische Vorlage, Fukuyama die abstruse Theorie und Preisendörfer die sprachliche Finesse. Sollte die Nachfrage ausufern, stünde Candy bald auf der Bestsellerliste und der Autor gut da. Dr. Francis würde sagen: „Gäbe es den Konjunktiv nicht, würde alles genau so geschehen, wie es zu geschehen hat.“ Doch wir vertrauen eher Voltaire: „Die Welt ist ein Jammertal.“ Katja Hille

VERLAG DAS ARSENAL 2011, 173 SEITEN, 19,90 €