Der Süßwarenkonzern wollte diesen Preis nicht naschen. Die Milchschnitte blieb draußen

Von Sabine Schmitt

Essen, was schmeckt, trinken, was prickelt. Zugreifen, ohne lange zu grübeln - wie riskant ist das? Es vergeht kein Jahr ohne Lebensmittelskandal. Gammelfleisch in der Kühltheke, Dioxin in Eiern, Antibiotika in Hühnchen- und Putenbrust. Dazu Werbelügen im Supermarktregal, Zusatzstoffe, versteckt im Kleingedruckten, fehlende Angaben über Inhaltsstoffe und Mogelpackungen, so weit das Auge reicht. Da kann dem Verbraucher der Appetit vergehen vor Frust und Ohnmacht. Eine Organisation, die für Transparenz auf dem Teller sorgen will, die irreführenden Versprechen der Nahrungsmittelindustrie auf den Grund geht, die aufdeckt und anprangert, wenn es mit dem Essen im Argen liegt, ist Foodwatch. Die Organisation hat sich in den vergangenen zehn Jahren zum Schrecken der Lebensmittel- und Agrarindustrie entwickelt - und zum Segen für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Sie nennen sich "die Essensretter", und sie haben tatsächlich ein bisschen was von einer Einsatztruppe, die an vielen Orten gleichzeitig sein muss: ein schlagkräftiges, kleines Team, das von einem Berliner Hinterhof aus den Kampf gegen die Lebensmittelriesen der Republik aufgenommen hat. In der Fabrik-etage werden Kampagnen geplant und Aktionen gesteuert, ohne Rücksicht auf Konzerninteressen oder Namen. Einspannen lässt sich Foodwatch nur für die eigene Sache, nicht aber von Wirtschaft oder Politik. Die Erfahrung für wirksame Kampagnen, die breiten öffentlichen Zuspruch finden, brachte Foodwatch-Gründer Thilo Bode mit. Als früherer Chef von Greenpeace weiß er, wie eine Organisation Aufsehen erregt.

Es war die BSE-Krise im Jahr 2002, die bei Bode den Ausschlag gab, für die Verbraucher/innen ein Gegengewicht zur Lebensmittelindustrie zu schaffen. Denn nur wer Informationen über die Produkte hat, die im Einkaufswagen landen, kann seine und ihre Macht als Verbraucher tatsächlich nutzen. Jede, die im Supermarkt die Wahl hat, müsse wissen, was drin ist, und wie Käse oder Lebkuchen hergestellt wurden. Nur so könnten Verbraucher/innen bewusst entscheiden, welche Lebensmittel bei ihnen tatsächlich auf den Teller kommen.

Die Eier aus der Käfighaltung

Es sind nicht nur die großen Skandale, die Foodwatch auf den Plan rufen, es ist vor allem der alltägliche Ärger mit Zusatzstoffen im Essen, mit Kennzeichnungen und Schadstoffbelastungen. "Wir wollen die Verbraucher nicht erziehen", sagt Foodwatch-Sprecher Martin Rücker. "Aber wir wollen für so viel Transparenz sorgen, dass jeder bewusst die für ihn richtige Entscheidung treffen kann." Dabei sind die Lebensmittelhersteller gefragt.

Dass es oft der Mangel an Informationen ist, der über den Kauf von Produkten bestimmt, habe die Kennzeichnungspflicht von Eiern gezeigt, erklärt Rücker. Seitdem auf jedem Ei die Herkunft dokumentiert sein muss, sei die Nachfrage nach Käfighühnereiern komplett eingebrochen. Obwohl die anderen Eiersorten teurer sind. Lediglich für die Herstellung von verarbeiteten Produkten wie Backwaren oder Nudeln würden nach wie vor jede Menge Käfighühner-eier verwendet. "Dafür gibt es keine Kennzeichnungspflicht", sagt Rücker. "Der Verbraucher wird in Unkenntnis gehalten." Dieses Vorgehen habe in der Lebensmittelindustrie Methode.

Mit zahllosen Kampagnen hat Foodwatch in den vergangenen Jahren auf Missstände in der Ernährungsindustrie aufmerksam gemacht, sich politisches Gehör verschafft und Druck auf die Hersteller ausgeübt. Die Verleihung des "Goldenen Windbeutels" beispielsweise sorgt immer wieder für Aufsehen. Er wird seit drei Jahren für besonders krasse Werbelügen an Hersteller verliehen. 2011 versuchte ein als Riesenmilchschnitte verkleideter Foodwatch-Aktivist den "Goldenen Windbeutel" in der Ferrero-Zentrale in Frankfurt am Main zu überreichen - und scheiterte medienwirksam. Auf der Foodwatch-Website können Gratulanten in einer Online-Mitmach-Aktion Glückwünsche an das Unternehmen senden. Mit solchen Aktionen ist Foodwatch so etwas wie Greenpeace des Lebensmittelschutzes geworden.

Die Verbrauchertäuschung

Seit 2007 betreibt die Organisation eine Kampagne gegen irreführende Werbebotschaften auf Lebensmitteln. Foodwatch hat dafür den Begriff der "legalen Verbrauchertäuschung" entwickelt, denn trotz der Lügen bewegen sich die Unternehmen im gesetzlichen Rahmen. Prangert Foodwatch jedoch ein Produkt an, leidet das Image des Herstellers, haben Marktforschungen ergeben. Regelmäßig brechen dann die Verkaufszahlen ein. Doch das ist gar nicht das Ziel. "Wir wollen nicht so lange eine Kampagne fahren, bis der Hersteller die Werbung ändert oder Produkte vom Markt nimmt", sagt Rücker. "Wir wollen, dass der Verbraucher die Mogelprodukte selbst entlarven kann und die Unternehmen wissen: Etikettenschwindel lohnt sich nicht."

www.foodwatch.de

Etikettenschwindel

Auf www.abgespeist.de können Verbraucher/innen sich über irreführende Werbung auf Lebensmitteln informieren, selbst Beispiele benennen und einmal pro Jahr ihre Lieblingstäuschung für den "Goldenen Windbeutel" vorschlagen. 32 Fälle von besonders heftigem Etikettenschwindel wurden bisher auf der Seite vorgestellt. Fast 4000 mal haben Verbraucher/innen Vorschläge gemacht. Rund 200.000 E-Mail-Beschwerden gingen von dort direkt an den Hersteller.